Fleisch ist mein Gemüse
Schönheiten mit nur einem Wort: «Sticheln!» Und weiter ging’s zur nächsten Kabine. Zeit ist Geld. Die vielleicht siebzehnjährige Prinzessin blieb und stach mir, ohne ein Wort zu sagen, mit einer Spezialnadel in die größten Pusteln, dass das Blut nur so herausspritzte. Aua, aua, das tat weh. Trotz der Schmerzen musste ich mich beherrschen, um nicht ihre wunderschönen Brüste zu küssen, die sie mir ins Gesicht hielt. Danach klebte sie mich mit Pflastern zu, die bereits auf dem Weg zur Bushaltestelle durchsuppten. Dann saß ich im Bus, blutete aus allen Rohren und starrte verzweifelt wahlweise aus dem Fenster oder auf den Boden. Ein jugendlicher Schwerverbrecher, der gerade eine mehrstündige Schlägerei hinter sich hat. Es kam, wie es kommen musste.
«Mami, der Mann da, warum blutet der so?» Der
Mann
! Ich war vierzehn.
«Das weiß ich auch nicht, nun starr da nicht so hin.»
Der ganze Bus guckte verstohlen in meine Richtung.Überflüssig zu erwähnen, dass die Stichelei überhaupt nichts brachte. Im Gegenteil, die Hörner entzündeten sich nur noch mehr. Irgendwann gab ich den Kampf gegen die Akne auf und schmierte mich nur noch mit einer Abdeckcreme ein. Das sah zwar
unnatürlich
aus, aber besser als die roten Pusteln. Im Hochsommer hatte ich einen Grund mehr, drinnen zu bleiben, da mir die nach Chemie riechende Tunke in der Sonne immer in dünnen Rinnsalen aus dem Gesicht pullerte.
Fleisch ist mein Gemüse
Jens und Norbert lebten in der zwischen Hamburg und Lüneburg gelegenen Kleinstadt Winsen an der Luhe und befanden sich beide in der Ausbildung zur gehobenen Beamtenlaufbahn. Winsen war der Stützpunkt von
Tiffanys
. Norberts Eltern bewirtschafteten hier einen Bauernhof, und in einem der vielen Räume durften wir üben und unsere Anlage unterstellen.
«Winsen ist eingebunden in eine Landschaft der Kontraste zwischen Marsch und Heide. In der Stadt leben heute gut 32 600 Menschen. Nach stetigem Wachstum präsentiert sich Winsen heute als pulsierende niedersächsische Landstadt, die sich bei allen Fortentwicklungen ihren ursprünglichen Charakter bewahrt hat» . (Info Gemeindeverwaltung). Der ganze Stolz des Winsener Schützenvereins war ihr Mitglied Cisco, Gitarrist, Sänger und vor allen Dingen Aushängeschild der dienstältesten deutschen Countryband
Truck Stop
. Bei seiner Rede zum alljährlichen Königsball brach der Vorsitzende immer förmlich in Tränen der Rührung aus, wenn er auf «unseren Schützenbruder Cisco, unseren lieben Schützenbruder Cisco» zu sprechen kam. Für ihn war die freiwillige Mitgliedschaft des Countrygottes so unbegreiflich und wunderbar, als wäre der Papst jeden Mittwoch zum Schießen angerückt.
Norbert und mich verband die Solidarität des Underdogs.Während mein windschiefer Körper mit Pickeln und Geschwüren zugewachsen war, hatte sich Norbert mit seinem dicken Po und außerdem mit einem Sprachfehler rumzuschlagen. Linkisch stolperten wir durch Fußgängerzonen, U-Bahnen und Supermärkte und waren froh, wenn wir uns endlich wieder in die vertraute Umgebung unserer kleenexbestückten Jugendzimmer verkriechen konnten. Man sah uns tausend Meilen gegen den Wind an, aus welch hölzernem Holz wir geschnitzt waren. Das Leben spielte Tontaubenschießen mit uns. Nie wären wir auf die Idee gekommen, ein Szene-Café oder gar eine Diskothek aufzusuchen. Wir hätten uns vor lauter Aufregung in die Hosen geschissen oder wären gar nicht erst hineingekommen. Mangels solcher Gelegenheiten blieb uns also nichts anderes übrig, als den Mädchen heimlich auf den Po oder sonstwohin zu starren. Große Starrer waren wir. Von den Futtertrögen des Lebens unüberbrückbar weit entfernt, verdammt zum ewigen Starren. Wie Zecken hingen wir im Gebüsch und warteten, aufrecht erhalten von der unbestimmten Hoffnung, dass wir vielleicht auch irgendwann mal an der Reihe sein würden. Bis dahin hieß es ausharren und regelmäßig entsaften. Wir sprachen sehr viel über das große Einmaleins der Wichsstrategien, diskutierten aber auch die Möglichkeit, uns triebhemmende Mittel verschreiben zu lassen, um der entsetzlichen Gewaltherrschaft des Sexus wenigstens zeitweise zu entrinnen. Daneben beschäftigte uns die Frage, ob man sich nun besser mehrmals täglich abmelken solle oder lieber nur einmal die Woche raus damit. Solche Gespräche schweißen zusammen, und wir freundeten uns behutsam miteinander an.
Jens war von ganz anderem Schlag, ein Mann der Sachthemen. Über Privates sprach der
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