Fleisch ist mein Gemüse
auf dem Weg zur Toilette war.
«Ach guck mal, der Saxophonspieler. Bitte recht freundlich!»
Oder: «Lach doch mal.»
Einmal brachte es tatsächlich jemand fertig, mir mit der Faust auf die Stirn zu klopfen, so, wie man an eine Tür pocht: «Hallo, jemand zu Hause?
Cheeeeeese
!»
Die vielleicht langweiligste Veranstaltung der Welt ist der
Ball des Sports
in der Winsener Stadthalle. Ich schaute zum wiederholten Mal auf die Uhr. Gottachgottachgott, erst halb elf, noch viereinhalb Stunden bis zum Feierabend!
Samstag Nacht, und du hast nur deine Lieder, die Sehnsucht kommt wieder in jeder Samstagnacht
.Ein Pärchen tanzte zu den Klängen dieses Klassikers von Howie, tuschelte und blickte verdächtig oft zu mir herüber. Sie schienen etwas vorzuhaben, und ich bekam es mit der Angst zu tun.
Du machst die Augen zu, tanzt deinen Blues, niemand hat an dich gedacht, die Zeit, wo die Sehnsucht erwacht, kommt in jeder Samstagnacht
. Plötzlich blieben sie direkt vor mir stehen und zogen mit ihren Fingern ihre Mundwinkel zu einem extra breiten Lachen nach oben. Dann reckten sie die ausgestreckten Daumen nach oben. Im Verlauf des Abends zeigten die Drecksäue immer wieder auf mich und machten sich vor Vergnügen über ihren Spitzengag fast in die Hosen. Jeder im Saal bekam es so natürlich mit. Ich traute mich nicht mehr auf die Toilette, und nach der Mucke stellte Gurki mich zur Rede.
«Mensch, Heinzer, was ist denn los mit dir, so geht das nicht. Ich kann doch nicht jedes Mal erzählen, dass du Liebeskummer hast.»
«Ja, ich weiß», erwiderte ich entkräftet.
Das Defizit an guter Laune versuchte ich durch exzellente Leistung auszugleichen, meine einzige Daseinsberechtigung. Selbst bei langweiligen Titeln wie
It never rains in Southern California
gab ich alles. Dabei wurde mein virtuoses Spiel meist überhaupt nicht wahrgenommen. Ganz anders wäre es gewesen, wenn ich bei Roland Kaiser, Vicky Leandros oder gar James Last mitgespielt hätte.
Automatisch
hätte ich als Virtuose gegolten. Bei einer Amateurkapelle wie
Tiffanys
hingegen konnte ich tröten, was das Zeug hält, egal. Ich mochte die Leute nicht, und die Leute mochten mich nicht. Eine durch und durch verkorkste Situation. Immer schlimmer wurde es auch mit dem elenden Unterricht. Ich wusste nicht, was schrecklicher war: sieben Stunden Tanzmusik oder Montagnachmittag im Halbstundentakt die untalentierten Frechdachse verarzten.
In einer endlosen Parade von Schweißausbrüchen und Beinahe-Ohnmachten zitterte ich durch die Tage. Am schlimmstenwar es morgens. Ich wachte mit unerträglichen Angstzuständen auf und war erst nach ungefähr einer Stunde in der Lage aufzustehen, ohne gleich wieder in mich zusammenzusacken. An Essen war kaum noch zu denken. Mir wurde ständig übel, und ich musste mich zwingen, mir wenigstens ein kleines bisschen Nährschlamm hineinzuquälen. Wie Stromstöße schlugen die Panikattacken in meinen Körper ein, breiteten sich dort wellenförmig aus, ebbten langsam wieder ab, und dann kam auch schon der nächste Einschlag. Selbst das Melken hatte ich eingestellt; mein letztes bisschen Energie verwendete ich darauf, nach außen hin den Schein zu wahren.
Tiffanys
durften unter gar keinen Umständen mitbekommen, wie es um mich bestellt war, sonst würde ich sofort fristlos entlassen werden, davon war ich überzeugt.
Der Zusammenbruch kam eines Freitagnachts. Ich hatte mich unter großen Mühen gegen vier Uhr in den Schlaf getrunken, war jedoch schon kurze Zeit später wieder aufgewacht. Ich fror wie ein Schneider und war starr vor Todesangst. Keine halbe Stunde würde ich das mehr aushalten. Ich rief den ärztlichen Notdienst an. Nach Ewigkeiten rückte ein überforderter Allgemeinmediziner an und spritzte mir, offenbar aus Verlegenheit, eine ordentliche Ladung Haloperidol, ein hochpotentes Neuroleptikum gegen Psychosen. Falsche Indikation! Dann gab der Depp mir noch die Telefonnummer eines Psychiaters. Ich kroch zurück ins Bett, doch die Angstzustände besserten sich kaum, ich war nur stark sediert und wurde nun auch noch von dem Gefühl gequält, mich nicht mehr bewegen zu können. Schrecklich! Ich war Gregor Samsa. Herr, in höchster Not fleh ich zu dir. Als ich gegen elf Uhr wach wurde, kam ich mir immer noch wie gelähmt vor. Wahrscheinlich hatte sich der Quacksalber verschätzt und mir aus Versehen viel zu viel gespritzt. Mein Gott, was musste ich eigentlich noch alles ertragen? Und abends war Mucke. Was sollte ich den Kollegen
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