Fleisch ist mein Gemüse
geleistet. Mit großer Schadenfreude verfolgte ich den unaufhaltsamen Sturz des unsympathischen CD U-Hoffnungsträgers . Er dürfte zwischen dem 12. September und dem 11. Oktober so einiges weggeschluckt haben, denn ohne den massiven Einsatz von Psychopharmaka wäre es wohl nicht zu der bizarren Ehrenwortinszenierung gekommen. Der Dummbatz, jetzt würde er aber so richtig eingeschenkt bekommen! Im Autoradio erfuhr ich von seinem nassen Tod in der Fremde. Enttäuschend. Eigentlich hätte ich eher mit dem preußischen Offiziersfreitod durch Kopfschuss gerechnet. Aber im Tabletten- und Rotweinrausch in der Badewanne ersaufen und sich dann auch noch von doofen stern-Reportern fotografieren lassen? EineFlasche! Na ja, Uwe war tot, und ich wollte leben! Das andere Medikament hieß Ludiomil, ein trizyklisches Antidepressivum. Dr. Vogel hatte das Mittel damit angepriesen, dass auch Prinz Klaus von Holland schon seit Jahren damit behandelt würde. Der ewige Trauerkloß Klaus. Ob das eine gute Referenz war? Na ja, schlucken, und gut ist, Lexotanil hatte schließlich auch geholfen. Nach zwei Wochen (bei Antidepressiva muss sich im Körper ein Spiegel aufbauen, und das dauert) setzte die stimmungsaufhellende Wirkung ein. Herrlich. Warum war ich da erst jetzt draufgekommen? Saufen war mir aufgrund der Wechselwirkungen verboten. Ich hielt mich daran und konnte mich bald schon wieder über Kleinigkeiten freuen wie über die Sache mit Mathias Rust. Als der linkische Sportpilot auf dem Roten Platz in Moskau landete, dachte ich anfangs, es wäre in Wahrheit gar nicht Mathias Rust, sondern unser Tanzmusiknorbert. Nach Veröffentlichung der ersten Fotos rief ich sofort bei Norbert zu Hause an und war enttäuscht, als ich erfuhr, dass er sich offenbar doch nicht in sowjetischer Haft befand. Es wäre doch sehr interessant gewesen, wenn mein Freund und Kollege still und heimlich Flugstunden genommen hätte, um den Coup seines Lebens hinzulegen! Na ja, dann eben nicht. Schade.
Den Abstieg von Mathias Rust vom Friedensvogel zum Sexharlekin habe ich sehr interessiert verfolgt. Was macht der hüftsteife Hasardeur eigentlich heute? Er ist Gründer und Chef der Organisation
Orion und Isis
, über die sich Folgendes erfahren lässt:
Im Gegensatz zur gängigen Praxis ist Orion und Isis weder nach außen noch nach innen transparent, das bedeutet, dass sich auch die mitarbeitenden Personen untereinander nicht kennen … Durch diese bewusst geschaffene Isolation der Kreativquellen wird erreicht, dass die typischen menschlichen Plagegeister … von vornherein ausgeschlossen werden … Lediglich Mathias Rust, dem Koordinator von Orion und Isis, sind alle Identitäten bekannt …
Das ist doch mal interessant!
«Na, Heinzer, was ist denn los mit dir? Kaum gehst du unter die Antialkoholiker, da bricht bei dir der Frohsinn aus. Gibt’s doch gar nicht!»
«Jo, die Sauferei ist ’n bisschen zu viel geworden. Mal ’n kleines Päuschen kann nicht schaden.»
«Das ist vernünftig. Dann brauch ich ja vielleicht auch nicht mehr so oft erzählen, dass unser Saxophonist Liebeskummer hat.»
«Mal abwarten.»
Mir ging es immer besser, und ich konnte im Laufe der nächsten Monate das Lexotanil schrittweise wieder absetzen. Die Krankenkasse bewilligte Dr. Vogels Antrag; schon bald sollte eine Gruppentherapie beginnen. Als Nächstes kam ich auf die verwegene Idee, statt um zwei Uhr nachmittags morgens um neun aufzustehen. Ich pennte zwar anfangs immer fast im Stehen ein, aber nach ein paar Wochen war es geschafft. Ich hatte wieder die Kontrolle über mein Leben übernommen.
1988
Deutsches Haus
Wann immer ich Geld übrig hatte, kaufte ich mir neue Geräte für mein Hitstudio. Als einer der Letzten stieg ich dann auch endlich vom C 64 auf den Atari um. Obwohl ich mich nie um Termine bei Plattenfirmen oder Musikverlagen bemühte, keine Demos verschickte oder gar Liveauftritte organisierte, kam Anja, ohne zu murren oder sich gar einen anderen
Produzenten
zu suchen. Die entscheidende Voraussetzung fehlte ihr genau wie mir: der Wille zum Erfolg. In Wahrheit wäre ich wahrscheinlich völlig überfordert gewesen, wenn sich tatsächlich jemand ernsthaft für uns interessiert hätte. Mir ging es wie Tausenden von Hobbymusikern, Freizeitschriftstellern, Feierabendmalern und sonstigen Möchtegernkünstlern, die sich jeder Beurteilung entziehen, weil sonst womöglich das Kartenhaus des eingebildeten Talents in sich zusammenfallen würde. Als
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