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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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verkanntes Genie kann man es sich im Leben auch ganz komfortabel einrichten.
    Besonders originell waren meine Smashhits nicht. Ich bediente mich jeweils aktueller Sounds bzw. Produzententricks oder klaute gleich ganze Harmoniefolgen, am liebsten die genial modulierten
Lines
von
Depeche Mode
. Mal klangen meine Songs wie die gerade aktuelle Single der
Pet Shop Boys
, mal war der Basslauf Madonnas
Into the Groove
entlehnt, mal hatte das Rhythmusarrangement verdächtige Ähnlichkeiten mit dem
Tears For Fears-
Hit
Shout
. Von meiner Sorte gab es viele Musiker, die ihr Handwerk verstehen, aber keine künstlerischen Ideen, keine Vision und keine Haltung haben. Mucker eben.
    Bei
Tiffanys
ging alles seinen gewohnten Gang. Wir hatten uns bei etwa fünfzig Auftritten im Jahr eingependelt, die sich fast ausschließlich im Bermudadreieck Hochzeiten, Dorfjugendveranstaltungen und Schützenfeste bewegten. Die Front zwischen Gurki und dem Rest der Band verhärtete sich immer mehr, aber da Zwerg Nase nach wie vor Herr über den Terminkalender war, blieb seine Position in der Band unangefochten, obwohl es sowohl mit seinem Gitarrenspiel als auch mit seinen Ansagen weiter bergab ging. Wir schafften uns eine größere Lichtanlage an, und regelmäßig wurde Jensens Synthieburg auf den neuesten Stand gebracht. Und nach Feierabend Eier, Eier, Eier.
    Mutter war so weit wiederhergestellt, dass sie endlich aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Das arme Vögelchen bekam jetzt irgendeinen neuen Cocktail aus verschiedenen Psychopharmaka, der sie auf niedrigem Niveau stabilisierte. Von einer wirklichen Verbesserung oder gar einem Durchbruch konnte jedoch nicht die Rede sein. Die Ärzte schienen auch nicht recht zu wissen, was sie warum verabreichten. Wahrscheinlich hatten sie Mutter aufgegeben. Fehlte nur noch, dass meine kleine Vogelmama täglich in eine Wanne mit Eiswasser gesteckt worden wäre. Die Krankenkasse fing an, richtig Druck zu machen. Mutter sollte mitsamt ihrem Deltarad in eine ungewisse Zukunft entlassen werden. Doch irgendwann wurde mir schlagartig klar, dass sie gar nicht ins Zwergenhaus der tausend Stufen zurückkehren konnte, wegen der tausend Stufen eben. Badezimmer, Toilette, Wohn- und Schlafräume waren in dem winzigen Haus so unglücklich über mehrere Ebenen verteilt, dass Mutter jeden Tag Hunderte von Stufen hätte überwinden müssen. Dabei konnte sie selbst mit ihrem Gehwagen nur noch ganz kurze Wege zurücklegen. Wieso hatte da eigentlich keiner dran gedacht? Ich schlug ihr den Einbau eines Treppenlifts vor, was sie vehement ablehnte.
(Ein Treppenlift, das kostet doch TAUSENDE! Wer soll denn das bezahlen? Und da komm ich mir ja
vor wie eine Schwerbehinderte.)
Und nun? Ich verbrachte die fol genden Wochen damit, mir geeignete Wohnungen erst alleine anzugucken und dann Mutter aus dem Krankenhaus zu einem zweiten Besichtigungstermin abzuholen. Sie lehnte alles ab. Mal störte sie sich am Anblick von Mülleimern, die vom Schlafzimmerfenster aus zu sehen waren, mal schienen ihr zu viele Kinder, Hunde oder Katzen das Mietshaus zu bevölkern. Mehrmals äußerte sie den Verdacht, über und neben ihr planten wahrscheinlich Terroristen neue Anschläge. Mit Argumenten war dem natürlich schwer beizukommen, denn ganz offenbar wollte sie unter gar keinen Umständen allein in eine Wohnung ziehen. Ich gab schließlich auf. Die Krankenkasse gewährte Mutter noch zwei Wochen. So schlug der behandelnde Arzt vor, sie erst einmal provisorisch in einem Hotel unterzubringen. Sie war natürlich dagegen:
    «Ein Hotel, ihr seid wohl verrückt geworden, wer soll denn das bezahlen. Steckst du mit denen etwa unter einer Decke?»
    Doch das Krankenhaus handelte mit dem
Hotel Deutsches Haus
günstige Konditionen aus, und so blieb Mutter schließlich nichts anderes übrig, als Anfang Juni dort einzuziehen.
    Das
Deutsche Haus
lag im zehn Kilometer von Harburg entfernten Vorort Neugraben und erinnerte mich in mancher Hinsicht an das Berghotel aus dem Psychoschocker
Shining
. Nie sah man eine Menschenseele in den lang gezogenen Fluren. Im Keller des in den siebziger Jahren erbauten Rotklinkerbaus befand sich eine Bundeskegelbahn, die nie benutzt wurde. Einmal habe ich heimlich in ein paar andere Zimmer geguckt. Sie waren alle leer. Mutter schien der einzige Gast zu sein – unheimlich! Betrieben wurde die Gruft vom kinderlosen Ehepaar Scholz.
Hotel Deutsches Haus, Inhaber Familie Scholz
war auf der Leuchtreklame zu lesen. Ich hätte
Ehepaar

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