Fleisch ist mein Gemüse
Scholz
richtiger gefunden, aber vielleicht war ja Nachwuchs unterwegs. Herr Scholz sah aus wie Gurki in Italienisch und Frau Scholz auch. Einmaldie Woche besuchte ich Mutter. Ich klopfte viermal an die Tür des nach hinten gelegenen Zimmers – so war es abgemacht. Mutter saß immer auf dem einzigen Stuhl und schaute aus dem Fenster. Es gab jedoch nichts zu sehen, außer einer leicht abschüssigen Rasenfläche und ein paar Bäumen. Alle Jubeljahre spielten Kinder auf dem Rasen, aber sonst war da einfach
nichts
. Vielleicht beobachtete Mutter Tiere; Eichhörnchen, Vögel oder gar einen Fuchs, aber die waren da ja auch nicht. Ihr Zimmer sah immer so aus, als wäre sie gerade erst angekommen und würde auf gar keinen Fall beabsichtigen, länger als eine Nacht zu bleiben. Vielleicht wollte sie es sich auch extra kein Stück gemütlich machen, damit der Auszug leichter fiele. Ich holte sie aus ihrem Zimmer ab, und dann gingen wir in die stets menschenleere Gaststube, bzw. Mutter rollerte mit ihrem Deltarad dorthin‚ und aßen das Stammessen für sieben Mark sechzig. In Restaurants mit Namen wie
Deutsches Haus, Eichenhof
oder
Zum Hirschen
heißt das Mittagessen immer Stammessen und besteht aus Kartoffeln, Mischgemüse und einem schönen Stück Fleisch mit Soße (Rind oder Schwein). Freitags gibt es Fisch, und Vegetarier werden generell nicht so gern gesehen. Die häufig wechselnden Kellner hatten sich in die Gesäßtasche ihrer schlecht sitzenden schwarzen Hose immer ein riesiges Kellnerportemonnaie hineingestopft. Sie schienen sehr unzufrieden darüber, im
Hotel Deutsches Haus
gelandet zu sein. Miesepetrig servierten sie die Sättigungsmasse und verzogen dabei keine Miene. Das
Deutsche Haus
glich einem überdimensionalen Sarg. Das riesige Getriebe des Hotelapparates schien sich ausschließlich für meine arme Mama in Bewegung zu setzen. Es war mir vollkommen rätselhaft, wovon hier gelebt wurde.
Im Oktober machte mein Kadett schlapp und wurde durch einen giftgrünen Datsun Sunny ersetzt. Nissan hieß damals noch Datsun. Das Fahrzeug hatte immerhin ein Radioteil mit Kassettenrecorder und 15 PS mehr als der Kadett. Diese Mehrleistungwar jedoch durch die nachträgliche Umrüstung auf Automatikgetriebe wieder vollständig neutralisiert worden. Er war genauso lahm wie der Kadett und brachte es auf höchstens 135 km/h, bergab mit Rückenwind. Trotzdem fand ich den Wagen viel schöner und moderner als den Opel. Wenn man ihn mal ganz
genau
unter die Lupe nahm, war eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Porsche 911 nicht zu verkennen. Auf dem hoteleigenen Parkplatz war mein Bolide neben dem gepflegten Passat der Familie Scholz das einzige Auto, denn der damalige Kellner, Herr Sowieso, pflegte mit dem Moped zur Arbeit zu kommen.
Wir saßen in der totenstillen Gaststube und steckten uns das Stammessen rein. Zu hören waren nur Kaugeräusche. Während des Essens soll man weder reden noch trinken, sondern sich auf den Genuss konzentrieren, besonders, wenn man sich nichts zu sagen hat. Leise Schluck- und Schmatzgeräusche. Mutters Erlebnisdichte war gering, und dementsprechend hatte sie auch nicht viel zu erzählen. Ich versuchte, die Geschehnisse der vergangenen Woche auf eine halbe Stunde zu strecken, und langweilte mich zu Tode. Dann entdeckte ich, etwas versteckt neben dem WC, einen Merkur Disc 2. Mein Lieblingsautomat! Während des ganzen Essens freute ich mich auf die fünfzehnminütige Auszeit.
«Du, ich muss mal eben aufs Klo.»
«Aber mach nicht so lange.»
«Neenee.»
Ahh, herrlich. Schnurstracks steuerte ich mit bereits handwarmem Silbergeld auf die Gurke zu, die schon sehnsüchtig auf mich zu warten schien.
Komm her, mein Freund, nun kümmere dich mal ein kleines Weilchen nicht nur um deine Mutter, kümmer dich auch einmal um mich
. Das tat ich gern. Ich war wahrscheinlich der Einzige, der überhaupt jemals Geld in das arme Maschinchen gesteckt hatte. Ein einziges Mal habe ich eine Vierzigerserie geholt, in den kommenden Jahren aber bestimmt tausend Markim Merkur Disc 2 des
Deutschen Hauses
versenkt. Mutter war immer schon sehr ungeduldig, wenn ich endlich zurückkam.
«Das hat aber wieder gedauert, stimmt was mit deiner Verdauung nicht?»
«Nein, irgendwas ist da nicht in Ordnung, ich weiß auch nicht.»
«Dann musst du mal zum Arzt gehen. Wie geht es denn eigentlich dir und deiner Musik?»
«Och, ganz gut. Seitdem ich keinen Alkohol mehr trink, schaff ich auch viel mehr.»
«Und hast du bald mal einen
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