Fleisch ist mein Gemüse
Plattenvertrag?»
«Die Situation ist im Moment gerade ganz schwierig. Es werden kaum noch Plattenverträge vergeben. Aber ich schaff das schon.»
«Na hoffentlich. Spielst du immer noch bei den
Tiffanys
?»
«Nicht
Die Tiffanys
. Einfach nur
Tiffanys
. Ja, natürlich, das weißt du doch.»
«Und wann fängt deine Therapie an?»
«In zwei Wochen. Hoffentlich bringt das was.»
Irgendwie traurig
Es ließ sich jedoch kaum übersehen, dass die zweistündigen Therapiesitzungen totale Quatschveranstaltungen waren, und so schrumpfte unsere Gruppe im Lauf der Zeit von anfänglich elf Irren zuletzt auf die fünf zusammen, die wie ich über sehr viel Tagesfreizeit verfügten. Dr. Vogel war heillos überfordert. Ich glaube, der an sich sympathischen Frau gelang es in zwei Jahren nicht, auch nur ein einziges Problem zu lösen. Anfangs machten wir noch Rollenspiele und ähnlichen Unfug, bei dem zum Beispiel jemand aus der Gruppe die Rolle der Mutter eines Mitpatienten einnehmen musste. Endlos sich hinziehende, quälende Szenen, die so wirkten, als würde eine Laienspielgruppeunter der Regie von Dieter Hallervorden einen Sketch über Psychotherapie proben. Wir wurden immer bockiger, und irgendwann verzichtete Dr. Vogel auf diese Farce. So wurde nur noch gelabert, was das Zeug hielt. Irgendwie waren alle hoffnungslose Fälle. Und immer waren die Eltern an allem schuld. Wenn ich Psychologe gewesen wäre, hätte ich ihnen den Rat erteilt, sich doch besser gleich aufzuhängen. Zum Glück war ich kein Psychologe. Ganz verheerend war es etwa um den zweiunddreißigjährigen Siegfried bestellt, ein Chemiestudent im ungefähr achtzigsten Semester, der noch nie eine Freundin gehabt hatte und aus Angst vor dem Berufsleben sein Studium nicht beendete. Er brachte es auch nicht fertig, bei seinen steinalten Großeltern auszuziehen, war aschfahl im Gesicht, rauchte wie die anderen Deprimierten unfassbar viel und trug
immer
Jeans und Parka. Außerdem hatte er eine sehr schlechte Haltung.
«Bist du ein Kerl? Mach dich gerade!»,
wollte man ihn anbrüllen und ihm dabei krachend auf den Rücken schlagen. Unser interner Spitzname für ihn war
Leiche
.
Wir wurden im Rotationsverfahren in die Mangel genommen, und alle paar Wochen war auch
Leiche
dran. Frau Dr. Vogel nahm ihn ins Kreuzverhör.
«Mensch, Siegfried, wie alt sind deine Großeltern jetzt?»
«87 und 89.»
«Und wie alt bist du?»
«Das weißt du doch.»
«Ich will es aber nochmal von dir selber hören.»
«32.»
«Du bist doch nicht glücklich darüber, dass du immer noch bei ihnen lebst. In zwei Monaten willst du doch endlich dein Studium abschließen, und jetzt müsstest du langsam mal den Absprung schaffen.»
«Ja, das stimmt ja auch einerseits. Aber andererseits weiß ich nicht, wie die Anmietung einer Wohnung überhaupt genaufunktioniert. Außerdem habe ich niemanden, der mir beim Umzug helfen kann.»
So ging das geschlagene zwei Stunden. Einmal habe ich vor versammelter Runde einen Witz erzählt:
«Herr Doktor, Herr Doktor (in Therapiewitzen Herr Doktor immer zweimal nacheinander, aber das weiß ja jedes Kind), ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll. Ich glaube, ich leide unter Persönlichkeitsspaltung! – Persönlichkeitsspaltung? Sie haben doch gar keine Persönlichkeit, was wolln Se denn da großartig spalten?» Keiner hat gelacht, das muss man sich mal vorstellen. Bierernst, die Irren. Dann wurde ich aufgefordert, doch mal meine Flöte mitzubringen und etwas vorzuspielen. Meine Leidensgenossen wollten auf diese Weise mehr über meinen wahren Kern erfahren. Ich rückte also mit meiner
Muramatsu Handmade-
Flöte für siebentausend Mark an, stellte mich in die Mitte und spielte ein paar Minuten drauflos, irgendwas in Moll und Vermindert, was mir bei meinem Gemütszustand angemessen schien. Dann setzte ich mich wieder und wartete auf einen tiefenpsychologischen Kommentar. Pause. Verlegenes Räuspern. Lautes Atmen. Schluckgeräusche. Dann endlich ergriff eine Mitpatientin das Wort:
«Also, ich fand, das klang irgendwie traurig.»
Die Jungschützenkönigin
Im September spielten
Tiffanys
zum zweiten Mal auf dem Garlstorfer Schützenfest. Wie immer schaute ich mir von der Bühne das bunte Treiben auf der Tanzfläche an. Mittendrin und nie dabei! Achachach. Ich war ein stummer Diener, hinter einer Mauer von Blasinstrumenten versteckt, zum ewigen Tröten verdammt. Die jungen, strahlenden Dorfschönheiten ließen sich über die Tanzfläche karriolen und
Weitere Kostenlose Bücher