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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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war ich auf einen roten Polo mit gefühlten zwölf PS umgestiegen. Der Wagen war noch lahmer als das japanische Porsche-Imitat und auch nicht geeignet, meinen Status zu verbessern. Dafür bekam ich überraschenderweise doch noch meine Akne in den Griff, denn die Pickelforschung hatte in der Zwischenzeit große Fortschritte gemacht. Das erste Mal seit Jahren war ich mal wieder zum Hautarzt gegangen, der mir ein Medikament für ganz aussichtslose Fälle verschrieb:
Roaccutan 10
. Für alle, die auch unter ganz hartnäckiger Acne Conglobata leiden: Roaccutan 10 hilft tatsächlich. Man bekommt zwar Nasenbluten, Haarausfall und muss zwei Wochen sterbenselend im Bett liegen, aber die Pickel gehen weg und kommen nicht wieder. Männer sehen nach überstandener Akne oft
markig
aus. Krater und Einkerbungen durchziehen ihre Lederhaut, aber das ist nicht schlimm. Im Gegenteil, es gibt ihnen eine raue, virile Note, das gewisse Extra eben. Ich hatte zwar auch Krater, sah aber eher irgendwie verquollen aus, so als ob ich tagelang durchgesoffen und dann noch mein Gesicht mit Schmalz eingeriebenhätte. Es hatte überhaupt keine Konturen, mein Gesicht, es war eine breiige, gallertige Masse. Ich habe Kinderbilder von mir angeschaut: ein dünner, hübscher Junge, mit klarem Gesicht und sanften Augen. Und nun das: Im Spiegel blickte mir höhnisch das feiste Gesicht eines tablettensüchtigen Trinkers entgegen, der sich ausschließlich in geschlossenen Räumen aufhält und sich von brauner Soße ernährt. Wenn ich durch verspiegelte Einkaufspassagen ging und zufällig meinen aufgedunsenen Acidhead in einem der Schaufenster sah, bekam ich immer einen furchtbaren Schreck.
     
    Mutter lebte seit nun fast sechs Jahren im
Hotel Deutsches Haus
. Sie hatte den gleichförmigsten Tagesablauf, den ein Mensch überhaupt haben kann: Morgens gegen fünf wachte sie auf und blieb noch eine Stunde liegen, bevor sie sich für den Tag fertig machte. Dann setzte sie sich auf den einzigen Stuhl ihres winzigen Zimmers, bis sie um Punkt acht zum Frühstück ging. Dann zurück ins Zimmer auf den heißen Stuhl. Um Punkt dreizehn Uhr Mittagessen, danach wieder Stuhl. Abends aß sie nichts mehr, weil sie unsinnigerweise überzeugt war, sie würde immer fetter werden. Um acht schaltete sie für eine Viertelstunde den Fernseher an, um die Tagesschau zu gucken. Natürlich vom Stuhl aus. Alle zwei Wochen gab es am Freitagabend außerdem
Derrick
. Nach dem Abendprogramm machte sie sich für die Nacht fertig und lag, außer an den
Derrick-
Abenden, spätestens um Viertel vor neun im Bett, auch Silvester. Auf dem Weg vom Schlaf- zum Badezimmer beschritt sie mit ihrem Gehwagen immer millimetergenau den gleichen Weg, sodass sich im Laufe der Jahre eine tiefe Furche in den Teppichboden gegraben hatte. Ich wunderte mich, dass ihr Zustand jetzt schon so lange stabil geblieben war. Aber vielleicht wirkte das
Deutsche Haus
auf sie ja wie Benzodiazepin, sedierend und angstlösend. Wie in den fünf Jahren zuvor holte ich sie einmal die Woche in ihremwinzigen Zimmer ab, und wir begaben uns geradewegs in die ausschließlich vom muffligen Personal bevölkerte Gaststube. Es gab immer kartoffellastiges Stammessen. Danach rauchte ich wie ein Schlot, trank einen halben Liter deutschen Wein und nahm irgendwann die fünfzehnminütige Auszeit am Disc. Am Ende der Besuchszeit das immer gleiche Gespräch:
    «Meinst du, dass wir nochmal eine Wohnung für mich finden?»
    «Wenn du aber auch an jeder was zu mäkeln hast, dann bestimmt nicht.»
    «Aber die waren auch alle nichts.»
    «Das ist doch nicht wahr. Ich hab manchmal das Gefühl, du willst hier gar nicht weg.»
    «Ach, erzähl doch keinen solchen Quatsch. Natürlich will ich aus dem Scheißhotel weg» . (sie sagte tatsächlich
Scheißhotel
, obwohl sie sonst niemals Schimpfwörter benutzte). «Aber da musst du mir mal eine wirklich schöne Wohnung suchen.»
    Wir drehten uns im Kreis.
     
    Neben Mutters ungewissem Schicksal war meine zweite große Sorge, endgültig bei
Tiffanys
kleben zu bleiben. Die Tanzmusik würde mir das Rückgrat brechen. Schweinchenrosadickglänzend und wie Jens fortwährend vor mich hin pfeifend würde ich noch mit sechzig auf der Bühne stehen, aufgedunsen und mit meinem trostlosen Dasein ausgesöhnt. Ich würde sehr gern essen, fast nur Fleisch und Eier, und mir ein ruhiges Hobby zulegen, Gartenarbeit, ein Aquarium oder Modelleisenbahn. Verreisen würde ich, wenn überhaupt, nur noch innerhalb Deutschlands. Aber

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