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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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nicht mehr richtig verreisen, sondern eher Ausflüge. Ein typischer Ausflugstyp würde ich sein, der abends
auf jeden Fall
wieder zu Hause ist, denn im eigenen Bett schläft man eben doch am besten. Mein Leben würde sehr gemütlich sein und von Ritualen geprägt. Bereits im Juni würde ich einen Rumtopfansetzen: erst Erdbeeren, dann Kirschen, Heidelbeeren, Himbeeren und schließlich Pflaumen. Aber nicht mit normalem Rum ansetzen, sondern mit 5 4-prozentigem , sonst kippt die Leckerei um! Und ein paar Stangen Zimt zusetzen oder Vanille, ist aber kein Muss. Je nach Geschmack eben. Alle paar Tage würde ich sehnsüchtig den Deckel ein wenig lupfen und mich schon auf den ersten Advent freuen, wenn die Köstlichkeit endlich reif zum Verzehr wäre. Über mein mächtiges Bäuchlein würde ich mir streichen und genießerisch brummen. Am ersten Advent, aber keinen Tag vorher! Das allererste Glas würde ich immer mit Norbert genießen, der seinerseits auch einen Rumtopf angesetzt hätte. Vor dem Genuss gäbe es in alter Tradition natürlich Spiegeleier. Als Grundlage. Ich hätte die Jahre über fleißig trainiert und würde nun, wie der selige Jens, zehn von den weißgelben Leckerbissen verticken können, ohne mit der Wimper zu zucken. Jedes Jahr entspönne sich erneut die Frage, wessen Komposition gelungener sei. Mal hätte ich die Nase vorn, mal Norbert. Doch wir würden es so oder so sportlich nehmen: Kompliment, mein Lieber, dieses Jahr hast du die Nase vorn, aber warte mal das nächste Jahr ab!
    Auch der unselige Geschlechtstrieb würde immer mehr nachlassen, um schließlich ganz zu versiegen. Endlich frei und dick. Mutter hätte mir das Zwergenhaus hinterlassen, mein Jugendzimmer sähe noch immer aus wie früher. Bücher über den Zweiten Weltkrieg, Airfix-Kriegsspielzeug, meine erste Flöte und ein paar zerschlissene Stofftiere. Da, auf dem schmalen Bett, ich mal mit Frauke Dausel   … Aber das ist lange her, schmunzel, schmunzel. In die Stube ginge ich nur sonntagmittags und abends zum Fernsehen! Meine Lieblingssendung wäre immer noch
Wer wird Millionär
. Günter Jauch wäre natürlich schon längst tot, aber der neue Moderator gefiele mir auch sehr gut. Außerdem ginge es mir in erster Linie um die Fragen; Stichwort Gehirnjogging. Der Tisch wäre immer sorgfältig gedeckt, nur für mich allein, denn ich wäre mir der liebste Gast, und Wein aus den guten Gläsern gäbe es auch. Mit dem Luftgewehr würde ich aus dem Klofenster auf die elenden Stare schießen, die es auf meine Kirschen abgesehen hätten. Ganz zum Schluss wäre das winzige Häuschen dann wieder so groß wie damals, als ich noch ein Kind war. In den Keller ginge ich nur noch in Notfällen, und im Sommer würde ich, mittlerweile weit über achtzig, mit dem Brennglas vor einer Ameisenstraße hocken und hochkonzentriert ein Insekt nach dem anderen verkohlen.
    Alter musste die Hölle sein. Ich malte mir die Apokalypse immer wieder in den buntesten Farben aus. Ein Tag im Leben des greisen Heinz Strunk: Ich wache morgens auf, oh Gott, ich bin immer noch nicht gestorben. Nur mit Mühe gelingt es mir, Leben in die tauben Beine zu bekommen. Wahnsinn, wie viel Ohrenschmalz so ein alter Körper in nur einer Nacht immer noch produziert! Das Zwergenhaus stinkt nach angebrannten Spiegeleiern und Fleischresten. Eigentlich sollte ich Tabletten nehmen, doch die Zuzahlung ist viel zu teuer, die Schmerzen müssen wohl oder übel ausgehalten werden. Im Bad die rituelle Katzenwäsche, dann tippel ich mit winzigen Schritten in die spackige Küche. Der Wasserkocher ist wie fast alle Elektrogeräte schon lange hinüber. Ist das Brot eigentlich verschimmelt, oder kann man es noch essen? Misstrauisch schneide ich den stahlharten Knust ab und weiche ihn in einer Pfütze H-Milch auf. Das korrekte Einspeicheln nicht vergessen, sonst renke ich mir den Kiefer aus. Immer wieder sortiere ich vergilbte
Tiffanys-
Quittungen
von 1988, glätte Eselsohren, um schließlich, der Höhepunkt des verregneten Vormittags, den letzten Teebeutel zum bestimmt zehnten Mal aufzubrühen. Was nun? Vielleicht zum Arzt, den maroden Körper begutachten lassen? Ach nein, der über hundert Kilo schwere Allgemeinmediziner wird mir sowieso nur wieder mit äußerster Brutalität Blut abnehmen,um mich schließlich mit der Diagnose
kein Befund
wieder aus der Praxis zu scheuchen wie einen räudigen Straßenköter.
Kein Befund, kein Befund
, mein Gott, wenn der wüsste! Ich reiße mich zusammen und gehe

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