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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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kleine dieser unförmigen Gefäße.
    «Guck mal, was ich hier wieder saufen muss. Ich schaff das einfach nicht. Schwester Renate ist ein Biest.»
    «Aber du weißt doch, dass Trinken wichtig ist, damit du nicht austrocknest. Du musst trinken, auch wenn du kein Durstgefühl hast.»
    «Ach was, das stimmt doch gar nicht. Oma ist auch fast neunzig geworden, und sie hat so gut wie nichts getrunken.»
    «Ja, die liebe Oma.»
    «Ach Heinz, ich vermiss sie so. Schwester Renate ist ein Teufel. Ich werde mit Essen und Trinken gefoltert.»
    «Nun mach mal halblang. Folter ist ja wohl nochmal was ganz anderes.»
    «Natürlich ist das Folter. Guck mich doch mal an, wie fett ich geworden bin.»
    Mutter war durchsichtig wie ein Gespenst und wog vielleicht noch vierzig Kilo.
    «Quatsch, du bist doch nicht dick. Du wiegst kaum noch etwas.»
    «Ach Heinz, nun lüg doch nicht so, ich bin eine ganz ekelhafte, fette Tonne.»
    Ich war ratlos.
    «Außerdem wird alles immer heißer und heller.»
    «Ich mach uns mal einen Kaffee.» Kaffee war das Einzige, was ihr noch Vergnügen bereitete.
    «Das ist gut. Mach das mal. Und Schwester Renate ist ein Teufel.»
    «Nein.»
    «Doch.»
    «Nein.»
    Ich verließ das Zimmer. Hinter mir hörte ich sie noch einmal «Doch» rufen. Ich durchquerte den Flur.
    «Nein.»
    «Doch.»
    Mittlerweile war ich in der Küche angekommen und begann mit der Kaffeezubereitung.
    «Nein.»
    Mutter hatte Ohren wie ein Luchs.
    «Doch.»
    Manchmal machten wir bis zu einer halben Minute Pause, dann ging’s mit frischen Kräften weiter.
    «Nein.»
    «Doch.»
    Schließlich kehrte ich mit dem frisch gebrühten Bohnenkaffee zurück. «Nein.»
    «Doch.» Erschöpft nahm Mutter einen Schluck zu sich. «Der schmeckt aber wieder gut.»
    «Ja, findest du? Das freut mich. Finde ich aber auch.»
    «Du bist lieb.»
    «Du auch.»
    «Ach, ich bin gar nicht lieb. Ich war nie eine gute Mutter.»
    «Quatsch, natürlich bist du eine gute Mutter.»
    Manchmal, wenn sie glaubte, ich sei nicht da, rief sie in höchster Not laut nach ihrer eigenen Mutter.
    «Mutti, Mutti, Mutti.»
    Und: «Mutti, Mutti, komm doch.»
    Nach ein paar Minuten verstummte sie wieder und starrte an die Decke.

1996
    Marek
    Dass Torsten vor mir den Absprung geschafft hatte, wurmte mich. Ich wollte doch auch aufhören! So eine elende Scheiße. Was sollte nur aus mir werden? Studieren, dafür war es längst zu spät. Eine späte Lehre vielleicht, haha. Oder Umschüler. Grauenhafte Vorstellung. Umschüler Strunk lässt sich zum ED V-Wirt oder Kältetechniker umschulen. Oder zu etwas anderem. Hauptsache umschulen. Umschulen, umschulen, umschulen. Und immer dran denken: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Danach ABM. Oder wieder zu Dr.   Vogel. Ob die wohl noch praktizierte?
    «Hallo, da bin ich wieder, bei mir ist viel schief gelaufen, auf Therapie hab ich keinen Bock mehr, aber kannst du mir vielleicht was für die Stimmung verschreiben? Ich hab gehört, dass es da was Neues aus Amerika gibt, was schön gleichgültig macht, Prozac, kannst du mir das verschreiben? Bitte, bitte!»
    Ich konnte ja auch wieder zum Sozialamt gehen, zu meinem Herrn Sommer, der mich sicher mit offenen Armen empfangen würde. Sollen
Tiffanys
mich doch rausschmeißen, die Arschgeigen.
    Ich ließ mich so richtig hängen, ging fast nie mehr zu den Proben und brachte meinen Anzug nur so oft in die Reinigung wie gerade eben nötig. Es ging so weit, dass ich ständig meine Schuhe vergaß; und die braven Kollegen waren sich nicht zu schade, sie mir hinterherzutragen. Bei den Mucken stand ich gelangweilt auf der Bühne und blies meinen Kram runter. Mir war alles egal. Ich gähnte laut, popelte oder kratzte mich, gernauch mal
beidhändig,
am Sack. Dabei stand ich nicht gerade auf zwei Beinen wie alle anderen auch, sondern schief und krumm. Dauernd verrenkte ich mich oder verlagerte grotesk mein Gewicht, um so meinem allgemeinen Unwohlsein Ausdruck zu verleihen. In den Pausen ließ ich mich sofort erschöpft auf einen Stuhl fallen und pulte mir in den Zähnen herum. Gurki hat das über Monate geschluckt, doch irgendwann platzte ihm der Kragen, und er imitierte mich mit einer Präzision, dass ich noch heute den Hut vor ihm ziehe ob dieser schauspielerischen Meisterleistung. Er ging im Schnelldurchlauf mein Repertoire an schlechtem Benehmen durch: Popeln, Verrenkungen, Arschjucken, Gähnen, Ins-Leere-Stieren, Nase-Hochziehen, Im-Ohr-Pulen, Furzen und was es sonst noch alles gibt. In diesen zwei wunderbaren

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