Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
und ich ahnte, dass Jerry noch nach den richtigen Worten suchte. Worten, die in meiner Seele und meinem Herzen brennen sollten, wie glühend heiße Lava.
Doch als er sich kurz darauf endlich wieder zu Wort meldete, kam alles anders, Miss Hagen.
Ganz anders sogar.
‚Scheiß auf Brinkman, diesen Fotzenlecker‘, sagte Jerry gelassen und machte seinem losen Mundwerk alle Ehre, ‚und scheiß auch auf die gottverdammte Mathematik, Mann. Damit bin ich längst durch – ein für allemal. Und ich bin mir sicher, dass Brinkman das genauso sieht. Kein Mensch braucht mehr Mathematik hier in Plain Rock. Die Dinge haben sich inzwischen geändert, Andy. Inzwischen gibt es wichtigere Dinge als die ständige Arschkriecherei in der Schule. Viel wichtigere sogar.‘
Ich wusste zwar nicht, womit ich in diesem Augenblick gerechnet hatte – doch das war es bestimmt nicht.
‚Und was sind das für Dinge, für die du ein ganzes Schuljahr sausen lassen willst?‘, fragte ich.
‚Freundschaft‘, sagte Jerry sofort, ‚wir sind jetzt alle Freunde, Andy. Nicht nur du und ich, sondern einfach alle Kinder aus der Stadt. Es gibt keine Unterschiede mehr.‘
‚Wovon zum Teufel redest du?‘, fragte ich.
‚Beweg deinen Arsch und komm zum Schlund‘, antwortete Jerry, ‚dann wirst du es sehen. Alle werden dort sein, wirklich alle. Sogar Clive Jennings wird dort sein, obwohl er uns früher immer auf dem Nachhauseweg von der Schule verprügelt hat. Er hat nichts mehr gegen uns, Andy. Alles hat sich verändert – komm rauf zum Schlund und du wirst es mit eigenen Augen sehen. Komm rauf, Andy, beweg deinen Arsch und komm rauf.‘
Ich hatte genug von Jerrys wirrem Zeug gehört, Miss Hage n. Ohne mich auch nur zu verabschieden, legte ich auf. Ich mochte Jerry zwar, liebte ihn vielleicht wie einen Bruder, den ich nicht hatte – trotzdem nahm ich es ihm übel, dass er seine Späße auf meine Kosten machte.
Nachdem ich aufgelegt hatte, beschloss ich, an diesem Abend keinen weiteren Gedanken mehr an Jerry zu verschwenden. Weder an ihn noch an das wirre Zeug, das er sich wahrscheinlich im Fieberwahn zusammengereimt hatte.
Stattdessen ging ich wieder zurück ins Wohnzimmer und flackte mich zu meiner Mutter auf die Couch, Miss Hagen.
Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, dass ich das Schlimmste noch vor mir hatte...“
45.
Der Schrei hallte durch die Mainstreet und riss Claire aus Andys Geschichte.
Ohne zu zögern sprang sie auf und bli ckte in die Richtung, aus der er gekommen war. Ihre Instinkte waren hellwach. Ohne zu überlegen griff sie nach der Maschinenpistole und entsicherte sie.
Gleich darauf zielte sie bereits in alle möglichen Richtungen und hielt nach Gefahren Ausschau.
Doch es war nichts zu sehen.
Die Straße lag noch immer völlig verlassen da. Das Einzige, was sich bewegte, waren ein paar Büsche, durch die der Wüstenwind rauschte. Ansonsten war alles genau wie zuvor.
„Was zum Teufel war das?“, fragte Claire und wandte sich zu Andy um.
Der Junge war auch von der Parkbank aufgesprungen. Er hielt den Revolver mit beiden Händen umklammert und blickte ebenfalls die Mainstreet hinab. Der Lauf der Waffe zitterte, während er immer wieder abwechselnd auf unsichtbare Ziele ansetzte. Seine Miene war verkrampft und Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.
„Ich glaube, das war Teddy“ , sagte Andy schließlich.
Claire wusste sofort, dass er recht hatte. Das war auch ihr erster Gedanke gewesen, als sie den Schrei gehört hatte. Doch von dem alten Man war nichts zu sehen. Eben war er noch bei ihnen gewesen und jetzt fehlte von ihm jede Spur.
Wo zum Teufel steckst du...
„Weißt du, wo er hinwollte?“, fragte Claire.
„ Nein, keine Ahnung“, sagte Andy. „Als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, stand er da vorne an der Kreuzung, gleich hinter der Bäckerei.“
„Los , komm mit“, sagte Claire, „wir müssen ihn suchen.“
Ohne weitere Zeit zu verlieren, setzten sie sich in Bewegung. Claire ging voran und Andy folgte ihr.
Sie liefen die Mainstreet entlang – vorbei an einem kleinen Supermarkt und der Bäckerei. Bei jeder Abzweigung blieben sie einen Augenblick lang stehen und sahen sich um. Ihre Blicke huschten durch die leeren Straßen und suchten nach einem Hinweis darauf, wo Teddy war.
Doch es war vergeblich – von ihm fehlte noch immer jede Spur.
Er war verschwunden.
Und mit jeder Minute, die verging, sank Claires Zuversicht, dass sie ihn noch rechtzeitig finden würden.
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