Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
einem Wald. Sie spürte den Waldboden unter ihren Füßen und atmete den erdigen Geruch, den sie aus ihrer Kindheit kannte.
Riesige Kiefern drängten sich dicht an dicht, mit knorrigen Stämmen und ineinander verschlungenen Wurzeln. Dazwischen wucherten Krüppelfichten, mit knochigen schwarzen Ästen, die aussahen wie die Gebeine längst verblichener Alpträume.
Es war totenstill.
Das einzige Geräusch , das Claire wahrnahm, war das dumpfe Pochen des Herzens in ihrer Brust.
Sie schaute sich um, suchte nach H inweisen darauf , wo sie war. Doch sie er kannte die Gegend nicht und fand auch keinen Anhaltspunkt, um sich zu orientieren. Dennoch wusste sie plötzlich ganz genau , wo sie war.
Die Gewissheit kam einer Eingebung gleich:
Du bist in den Rockwell Heights!
Claire hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Sie war wirklich in den Rockwell Heights, einem verlassenen Landstrich zwisc hen der Stadt Rockwell und der k anadischen Grenze. Es war ein naturbelassenes Gebiet , oh ne Straßen und Siedlungen. Ein Gebiet, in das weder d ie Papierfabriken, noch die Sägewerke vorgedrungen waren.
Es gab nicht viele Menschen, die diese Gegend kannten. Nur ein paar Einheimische aus Rockwell und Umgebung nutzten sie in den Herbstmonaten zur Jagd. Touristen hingegen blieben ihr meist gänzlich fern. Die Reise dorthin war zu beschwerlich. Der letzte Highway ende te 17 Meilen vor den Heights. Von da an war man auf ver steckte Trampelpfade angewiesen, über welche die Schlepper zur Zeit der Prohibition Whiskey über die Grenze geschmuggelt hatten .
In den Frühlingsmonaten, unmittelbar nach der Schneeschmelze, waren dann auch die Schmuggle rpfade nicht mehr passierbar. Und den gesamten Sommer über stürzten sich Schwärme von Moskitos auf al les und jeden, der noch einen Tropfen Blut im Körper hatte.
Doch Claire kannte die Gegend . Die Erinnerung daran, war zwar etwas eingestaubt, doch je länger sie die Waldluft atmete, umso klarer wurde sie. Der kühle Atem des Waldes fegte den Staub des Vergessens aus ihrem Verstand.
In dieser Gegend war sie früher mit ihrem Vater jagen gewesen. In diesem Landstrich hatte sie schießen gelernt. Inmitten dieser Wälder hatte sie ihren ersten Waschbären gefangen und ihr erstes Reh geschossen.
Mit Daddy.
Ein Glücksgefühl durchströmte plötzlich ihren Körper und ihre Gedanken. Doch es verflog genauso schnell, wie es gekommen war. Danach drängte sich eine andere Vorstellung in ihren Verstand.
Du musst die Blockhütte erreichen, bevor es dunkel wird! Nachts ist es gefährlich im Wald!
Die Stimme des Traumgesichtes klang ängstlich und besorgt. Unruhe keimte in Claire. Sie wollte gerade auf ihr Handgelenk blicken, um die Uhrzeit abzulesen, als sie erkannte, dass sie ihre Arme nicht bewegen konnte. Sie blickte an sich selbst hinab und sah , dass sie eine Zwangsjacke trug. Ihre Arme umschlangen ihren Körper, unfähig sich auch nur einen Millimeter weit zu bewegen. Claire zerrte und rüttelte daran, doch es gelang ihr nicht , sich zu befreien.
Wieder erklang die Stimme in ihrem Kopf.
Du musst zur Blockhütte . Im Wald ist es nicht mehr sicher, wenn es dunkel wird!
Schnell!
Claires Besorgnis wuchs mit jedem Wort. Sie wus ste, dass sie zur Hütte musste. Doch sie hatte keine Ahnung, wo die Hütte war. Die Erinnerung daran begann zu verblassen und der Wald verlor plötzlich jegliches Gefühl von Vertrautheit. Gleichzeitig wurde es immer dunkler. Claire wusste nicht, wie viel Zeit ihr noch blieb, bevor es ganz dunkel wurde. Sie schaute hoch zum Himmel, um sich am Stand der Sonne zu orientieren. Einen Augenblick lang war sie wie erstarrt und konnte ihren Augen nicht glauben.
Der Himmel war...
Oh Gott!
... ein wogendes Meer aus Blut. Riesige Brecher rauschten darüber hinweg und hinterließen rostig rote Schaumkronen. Wellenberge türmten sich hoch, überschlugen sich mit einem Donnerknall, der den Boden unter Claires Füßen zum Erbeben brachte.
Nur mit Mühe gelang es ihr, sich von de m Anblick zu lösen. Sie atmete tief durch und erkannte, dass auch der Waldgeruch verschwunden war. Nein, nicht verschwunden – er hatte sich verwandelt. Jetzt war es der Geruch eines frisch geöffneten Grabe s, der ihr in die Nase stieg. J e mehr sie davon einatmete, umso stärker wurde das Gefühl von Panik in ihren Gedanken .
Claire begann zu laufen. Erst langsam, dann immer schneller. Sie sprang über Wurzeln und brach durchs Unterholz. Je weiter sie rannte, umso enger standen die Bäume
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