Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
einige Grad sinken würde.
Nüchtern betrachtet , dachte sie, wäre es ein hohes Risiko, gleich aufzubrechen. Vor a llem, weil sie auf dem abgelegenen Waldweg mindestens genau so sicher vor ihren Verfolgern waren, wie in der Jagdhütte ihres Vaters .
„Na gut“, sagte sie schließlich, „dann brechen wir eben kurz vor Sonnenaufgang auf. Der Tank ist noch zu einem Drittel voll und wenn ich den Motor laufen lasse, sorgt die Klimaanlage dafür, dass wir nicht erfrieren.“
„Gut“, sagte G eorge und schenkte ihr ein Lächeln.
Anschließend klappten sie die Vordersitze zurück und schlüpften in die Schlafsäcke, die George zuvor gekauft hatte. Claire schaltete das Licht aus und verkroch sich so tief in ihrem Schlafsack, bis nur noch der obere Teil ihres Gesichtes herausschaute.
Anfangs glaubte sie nicht daran, dass es ihr gelingen würde zu schlafen. Denn immer dann , wenn sie nichts anderes mehr hatte, auf das sie sich konzentrieren konnte, kehrten ihre Gedanken zu Amanda zurück.
Das war auch der eigentliche Grund gewesen , warum sie gleich zur Hütte aufbrechen wollte , anstatt auf den nächsten Morgen zu warten : Weil der anstrengende Marsch sie von den Sorgen abgelenkt hätte, die sie sich in diesem Augenblick um Amanda machte.
Stattdessen lag sie zusammengekauert in ihrem Schlafsack, während die Ungewissheit darüber, was mit Amanda passiert war, an ihr nagte.
Wo war Amanda? Was war mit ihr geschehen? Würde es ihr gelingen , sie zu retten?
Claires rechte Hand glitt zu ihrem Hals und ihre Finger fuhren über das Kreuz, das John ihr geschenkt hatte. Für einen Augenblick überlegte sie, ob es ihr vielleicht helfen würde, wenn sie ein Gebet sprach. Sie entschied sich dagegen. Sie war noch nie gläubig gewesen und würde es wohl auch nie werden. In diesem Augenblick wusste sie nicht einmal, warum sie das Kreuz überhaupt angelegt hatte.
Solche und ähnliche Gedanken kreisten du rch Claires V erstand, während der Wind um den Wagen pfiff und die Bäume im Wald unter ihrer Last ächzten.
Allein das gleichmäßige Geräusch des Motors, der vor sich hin blubberte, klang aufgrund sei ner Vertrautheit beruhigend. Es sorgte schließlich dafür, dass Claires Gedanken abdrifteten.
Weg von Amanda und weg von den Sorgen . Immer weiter, bis sie einschlief und alles um sich herum vergaß.
Doch auch der Schlaf brachte keine Erleichterung.
Im Gegenteil.
71.
Der Traum kam sofort und mit unerbittlicher Härte.
Das E rste, was Claire wahrnahm, war Schmerz .
Unendlicher, alles verzehrende r Schmerz. Er fraß sich durch ihren Körper und legte sich auf ihre Gedanken. Jede andere Empfindung ging unter in diesem wogenden Meer aus Pein.
Es dauerte einige Zeit, bis sie sich einigermaßen daran gewöhnte. Erst dann war sie imstande, auch andere Sinneswahrnehmungen zu verarbeiten. Doch auch das machte die Sache nicht besser . Denn je lebendiger der Traum wurde, umso schneller wuchs auch ihre Beklemmung:
Sie war eingezwängt und konnte sich nicht bewegen – am allerwenigsten ihre Arme. Alles um sie herum war schwarz . Die Dunkelheit schien sie regelrecht zu verschlingen.
Sie versuchte sich zu befreien, wand sich herum und zerrte an ihren Fesseln. Doch es half nichts. Zu jeder Seite ihres Körpers waren dicke Gitterstäbe, a us denen es kein Entrinnen gab. Sie kam sich vor, wie lebendig begraben und allein schon der Gedanke daran, schnürte ihr die Kehle zu.
Doch da war noch ein anderes Gefühl, das mindestens genau so schlimm war . Ein fremdartiges Gefühl, das Claire bis zu diesem Zeitpunkt noch nie empfunden hatte. Es war wie ein schmerzhaftes Ziehen, das den unergründlichen Tiefen ihres Unterbewusstseins entsprang und dafür sorgte, dass sich ihr gesamter Körp er verkrampfte.
Es war ein e animalische Regung ohne Verstand. Ein urtümlicher Trieb – ein simples Verlangen, das darauf brannte, gestillt zu werden.
Und je mehr Claire sich darauf einließ, umso klarer wurde ihr, wonach sie sich derart verzehrte.
Blut!
Sie träumte von Blut und verzehrte sich danach – mit jeder Faser ihres Körpers. Die Gier durchströmte ihre Glieder – sie kribbelte unter ihrer Haut und brannte unter ihren Fingernägeln.
Blut!
Es gab nichts , was sie dagegen ausrichten konnte. Ihre Gedanken gingen u nter in einem Sog aus Verlangen.
Blut!
In diesem Augenbl ick konnte sie spüren, dass sie k ein Mensch mehr war. Sie hatte sich verwandelt . Sie war jetzt ein Raubtier . Mit rasiermesserscharfen Sinnen und noch
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