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Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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nichts sehen, aber sein geübtes Auge entdeckte ein Einschussloch in der Wand gegenüber vom Bett, unmittelbar rechts von dem Rollstuhl. Er zog einen Kreidekreis um das Loch.
    Mel Abbot saß weiter apathisch mit gekrümmtem Rücken im Bett, die gefesselten Hände bewegungslos. Milo wischte ihm zweimal das Kinn ab. Abbot riss jedes Mal seinen Kopf zur Seite, wie ein kleines Kind, das den Spinat verweigert.
    Endlich das Geheul von Sirenen. Drei Streifenwagen von Code Two, ein Mutt-and-Jeff-Duo aus der Van Nuys Division namens Ruiz und Gallardo, eine Schar fröhlicher, sich neckender Sanitäter für Mel Abbot.
    Ich stand auf dem Treppenabsatz und sah zu, wie die Sanitäter ihre Tragbahre vorbereiteten. Milo und die Detectives hatten das Schlafzimmer verlassen, standen außerhalb der Hörweite des alten Mannes und besprachen technische Dinge. Aus den Augenwinkeln warfen sie kurze Blicke auf ihn. Eine feuchte Schicht Rotz bildete einen Schnurrbart auf Abbots Oberlippe. Janes Leiche lag in seinem Blickfeld, aber er machte keine Anstalten, sie anzusehen. Ein Sanitäter kam heraus und fragte die Detectives, wohin sie ihn bringen sollten. Die drei Cops fügten sich einhellig ins Unvermeidliche: die Gefängnisstation des County General. Der kleine Detective, Ruiz, murmelte: »Ich liebe diese Fahrt nach East L. A.«
    »Am schönsten ist es doch zu Hause, ese«, sagte Gallardo. Er und sein Partner waren in den Dreißigern, kräftig gebaut, mit dicken schwarzen Haaren, die perfekt geschnitten und gerade zurückgekämmt waren. Er war etwa einsachtundachtzig, Ruiz nicht größer als einszweiundsiebzig. Von dem Größenunterschied abgesehen, hätten sie Zwillinge sein können, und ich begann sie mir als Auswüchse eines mendelschen Experiments vorzustellen: kurze Detectives, lange Detectives ... Ich wollte an irgendetwas denken, um mich von dem abzulenken, was hier passiert war.
    Es funktionierte nicht - mein Kopf wollte Bilder von Jane Abbots letzten Augenblicken nicht abschütteln. Hatte sie gewusst, was auf sie zukam, oder war das Aufblitzen der Waffe eine Wahrnehmung ohne Verständnis gewesen?
    Mutter und Tochter waren nicht mehr da.
    Eine Familie ausgelöscht.
    Keine glückliche Familie, aber immerhin eine, die sich vor Jahren so viel Gedanken gemacht hatte, dass sie Hilfe suchte ...
    Ein Haltegurt öffnete sich mit einem schnappenden Geräusch, und die Sanitäter gingen auf Abbot zu. Er begann zu weinen, leistete aber keinen Widerstand, als sie ihn auf die Trage legten. Dann blickte er hinab auf den Leichnam und schrie und begann mit wächsernen Armen um sich zu schlagen. Ein Sanitäter sagte mit gelangweilter Stimme: »Na, na, lassen Sie mal gut sein.« Schnapp schnapp. Die Sanitäter machten sich so rasch wie ein Team beim Boxenstopp an die Arbeit, und Abbot war festgeschnallt.
    Ich lief nach unten, ging auf unserem Weg zurück durch das Haus und zur Küchentür hinaus auf den Plattenpfad. Die Sonne ging allmählich unter, und der unterste Himmelsquadrant glich einer gestreiften Persimone. Ein paar Nachbarn waren zum Gaffen aus ihren Häusern gekommen, und als sie mich sahen, kamen sie näher ans Tor heran. Ein Uniformierter hielt sie in Schach. Jemand zeigte auf mich, und ich zog mich aus ihrem Blickfeld zurück und blieb in der Nähe des Hauses, wo Milo mich vorfand.
    »Genießt du die frische Luft?«
    »Atmen schien mir eine gute Idee zu sein«, erwiderte ich.
    »Du hast den Spaß verpasst. Abbot hat einen Arm freibekommen und einen der Sanis an den Haaren gepackt. Sie haben ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt.«
    »Der arme Kerl.«
    »Mitleid erregend, aber gefährlich.«
    »Glaubst du tatsächlich, er war es?«
    »Du nicht?« Er schlug sich mit den Händen auf die Hüften. »Ich will nicht sagen, dass es vorsätzlich war, aber zum Teufel, ja. Er hielt die Waffe in der Hand, und das Loch in der Wand passt zu einem Schuss, der vom Bett aus abgefeuert wurde. Ich schätze, es ist letzte Nacht passiert. Sie hatten die Pistole wahrscheinlich in einem Nachttisch, irgendwie hat er sie gefunden, hat sie als Teddybär benutzt, Jane ist ins Schlafzimmer gekommen, woraufhin er durchdreht, und bumm.«
    »Sicherheitsmaßnahmen in der Vorstadt nehmen ein böses Ende.«
    »Wir erleben es immer wieder, Alex. Normalerweise mit Kindern. Und das ist Abbot doch in Wirklichkeit, stimmt's? Die Schublade des Nachttischs ist in Reichweite. Es ist noch eine Waffe da drin - ein älterer Revolver, Achtunddreißiger, ungeladen. Also war Jane Abbot

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