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Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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fragte mich, warum ich hergekommen war. Ein Schatten huschte über das Kajak, als ein Pelikan - ein großes, fettes graues Tier, vielleicht der Vogel, den ich auf dem Pier gesehen hatte - zum Horizont glitt. Ich sah zu, wie der Vogel das Seetangfeld überquerte und sich niederließ. Wartete. Eintauchte, etwas herauszog, schluckte. Nichts anderes wahrnehmend als die vor ihm liegende Aufgabe, ein Monarch mit Hängebacken.
    Ich ruderte noch ein bisschen weiter, traf auf zunehmend wütende Wellen. Fünfzig Minuten waren vergangen, seit ich in den Neoprenanzug geschlüpft war. Zeit zurückzufahren.
    Ich würde keine Geschichten von nackten Bräuten für Norris zurückbringen und für Milo nichts, was Beweischarakter hatte. Die kleinen Blondschöpfe waren höchstwahrscheinlich Tony Dukes zweiter Satz Nachwuchs, und die Frau konnte irgendjemand sein.
    Als ich zurückzurudern begann, beschloss ich, Milo nichts von meinem kleinen Ausflug zu erzählen. Vielleicht würde er heute anrufen, vielleicht auch nicht. Ich begann meinen Rückweg, indem ich schneller ruderte und so nah am Ufer blieb, wie die Untiefen es erlaubten, weil der Wind die Wellen aufgewiegelt hatte. Als die Standseilbahn auftauchte, war ich in kühlen Schweiß gebadet.
    Die Kabine befand sich noch oben, unbeweglich. Aber die Frau in dem weißen Kleid war nun auf den Beinen, ohne Hut lief sie mit wehenden goldenen Haaren und weit geöffneten Armen. Ihr Mund war ebenfalls offen, als sie auf das Wasser zurannte.
    Ich war zu weit entfernt, um die Worte zu verstehen, aber ich konnte sie schreien hören, und ihr Tonfall war unmissverständlich: Panik.
    Das kleine Mädchen in dem pinkfarbenen Badeanzug hatte sich nicht von der Stelle gerührt, und die orange Schaufel war immer noch in seiner Hand. Aber von dem nackten Jungen war nichts zu sehen.
    Dann entdeckte ich ihn. Ein kleiner weißer Punkt, der sich im Wasser auf und ab bewegte, vielleicht zwanzig Meter nördlich von mir.
    Nur ein weißblonder Schöpf, keine Arme. Hüpfte auf und ab wie ein Tischtennisball, so unbedeutend, dass ich ihn vielleicht für ein Stück Treibgut gehalten hätte - ein vereinzeltes Stück Styropor.
    Die goldblonde Frau rannte genau in dem Moment ins Wasser, als das Meer anschwoll und der Junge verschwand. Ich ruderte zu der Stelle, wo ich ihn erblickt hatte. Sah die Kabbelwellen - dicht hintereinander, fluoreszierend, verwirbelnd.
    Von ihm war nichts zu sehen.
    Die Frau stand im Wasser. Das kleine Mädchen hatte sich aufgerappelt und stolperte hinter ihr her.
    Ich begann wie wild zu rudern, fand, dass ich zu langsam von der Stelle kam, schlängelte mich aus dem Kajak und tauchte in das eisige Wasser.
    Selbst ein ruhiger Ozean kann dafür sorgen, dass sich ein Mann schwach vorkommt. Dieser Ozean nahm keine Rücksicht auf meine Selbstachtung.
    Ich tauchte, machte einen Schwimmzug, tauchte, machte noch einen Schwimmzug, fixierte den Punkt, wo der Junge untergegangen war. Etwas verunsichert durch die Kabbelung und durch Wellen, die nun durch einen mit voller Kraft blasenden Wind angefacht wurden. Die Wirbel waren nicht stark genug, um für jemanden meiner Größe eine Ge- fahr darzustellen, aber sie machten mich langsamer, machten es mir schwerer, mich auf mein Ziel zu konzentrieren.
    Ich schwamm so schnell ich konnte, kam nahe an die Stelle heran - immer noch nichts von dem Jungen zu sehen. Doch dort war er, fast zehn Meter weiter draußen, das Gesicht weiß im Licht der Sonne, auf und ab tanzend - von seinen Armen war nichts zu sehen, aber er schien sich über Wasser zu halten - Wasser tretend, gute Schwimmtechnik für sein Alter, aber wie lange konnte er durchhalten? Das Wasser war eisig, und ich fühlte, wie sich meine Muskeln zusammenzogen. Ich warf mich in die Strömung und konzentrierte mich darauf, seinen blonden Kopf im Blick zu behalten. Sah hilflos zu, wie er erneut unterging, und als er wieder auftauchte, war er fünf Meter weiter vom Strand abgetrieben - wurde ins Meer hinausgezogen, langsam, aber unerbittlich. Die Schreie der Frau ertönten hinter mir, hörbar über dem Rauschen der Brandung.
    Ich änderte meinen Kurs, indem ich schätzte, wohin die Kabbelwellen den Jungen tragen würden, und auf diesen Punkt zuschwamm. Dachte an all die fast ertrunkenen Kinder, die ich im Western Pediatrie untersucht hatte. Hauptsächlich aktive kleine Jungen. Überlebende mit Gehirnschäden ...
    Ich erreichte die Stelle. Kein Junge. Hatte ich mich verrechnet? Wo zum Teufel war er? Ein rascher

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