Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Steuerhinterziehung abgesessen, aber ich weiß sonst nicht mehr als du.« Er schloss sein Notizbuch. »Kapitalanlagen ... Also hat Lauren vielleicht in ihrem alten Job weitergemacht. Wäre interessant zu wissen, ob zwischen ihr und Michelle noch eine Beziehung bestand.«
    »Andrew Salandersagte, Lauren hätte keine Freundinnen gehabt.«
    »Vielleicht hat Lauren Andrew nicht alles erzählt. Oder vielleicht hat er es dir nicht erzählt.«
    »Das ist sehr gut möglich«, erwiderte ich. Und dachte: Lauren hat bezüglich des Forschungsprojekts gelogen, also hat sie vielleicht auch andere Schranken errichtet. Selbst für Vertraulichkeit gesorgt.
    Jetzt waren alle ihre Geheimnisse im Müll gelandet.

9
    Das Haus war zu leicht zu finden.
    Ein zweistöckiges weißes Gebäude im Kolonialstil am Ende des Blocks, fast prachtvoll hinter den schwarzen Streifen eines Eisenzauns und von Hochspannungsscheinwerfern derart hell beleuchtet, dass es sein eigenes Tageslicht zu besitzen schien. Längs unterteilte Fenster mit grünen Läden, eine halbkreisförmige Auffahrt, zwei Tore, eins als EINFAHRT gekennzeichnet. Milo zog seinen Krawattenknoten fest, während ich den Wagen abstellte. Wir stiegen aus und gingen auf das Eingangstor zu. Die Nacht schien aller Lebenskraft beraubt, aber vielleicht lag es auch an der Aufgabe, die uns bevorstand.
    Lichter färbten zwei Fenster im ersten Stock gelb, und im Oberlicht über der Haustür war das Funkeln eines Kronleuchters zu erkennen. Ein weißer Cadillac Fleetwood blockierte die Sicht auf die Haustür. Er glänzte wie ein brandneues Exemplar, war aber von einer Größe, die man sich in Detroit nicht mehr herzustellen traute. Behinderten-Nummernschild. Ein Mustang-Coupe in Blau metallic, ebenfalls fleckenlos, parkte hinter dem Caddy, schien dem großen Wagen zu folgen wie ein gehorsames Kind.
    Milo warf einen Blick auf die Sprechanlage und sah mich an. »Sollen wir?«
    Ich drückte auf den Knopf. Ein digitaler Code ertönte, dann klingelte ein Telefon.
    Jane Abbot sagte mit schlaftrunkener Stimme: »Ja?«
    »Mrs. Abbot, hier ist Dr. Delaware.«
    Ihr stockte der Atem. »Oh ... was ist los?«
    »Es geht um Lauren. Darf ich bitte reinkommen?«
    »Ja, ja, natürlich ... nur eine Sekunde, lassen Sie mich ... einen Augenblick.« Ihre Stimme gewann mit jedem abgebrochenen Satz an Höhe, und das letzte Wort war ein schrilles Quietschen. Sekunden später ging die Tür auf, und Jane Abbot kam in einem gesteppten Morgenmantel aus Seide und mit hochgesteckten Haaren herausgerannt. Sie hielt eine Fernbedienung in der Hand, mit der sie auf das Tor zielte. Eisenplatten glitten zur Seite. Sie war einen Schritt entfernt, als wir durch die Öffnung traten.
    Vor zehn Jahren hatte ich sie das letzte Mal gesehen. Sie war immer noch schlank und zierlich, das blonde Haar besaß jetzt einen aschblonden Ton aus dem Frisiersalon, der kaum dunkler war als Laurens Platinblond. An all den typischen Stellen hatte das Jahrzehnt ihr Gesicht ausgehöhlt, ihre Haut gelockert und Falten hineingeätzt. Während sie auf uns zulief, atmete sie durch den Mund. Flauschige Hausschuhe klatschten auf Ziegeln.
    Milo hatte sein Abzeichen in der Hand, aber es war nicht nötig. Auf seinem Gesicht lag diese schreckliche Traurigkeit, und Jane Abbot verstand sofort, was das bedeutete. Sie hob die Hände an den Kopf, riss ihren Blick von Milo los und starrte mich an. Ich hatte ihr nichts Besseres zu bieten, und sie schrie und schlug sich an die Brust und stolperte, als die Beine ihr den Dienst versagten. Ein Hausschuh rutschte ihr vom Fuß. Rosa Hausschuhe. Die Dinge, die einem auffallen.
    Milo und ich fingen sie gleichzeitig auf. Sie schlug nach uns, schien nur aus Knochen und Sehnen zu bestehen und fühlte sich durch die Chenille ihres Morgenmantels merkwürdig schlüpfrig an. Ihr Schmerz war elementar, und ihre Schreie zerrissen die Nacht, aber es erschien niemand sonst an der Haustür. Aus den Nachbarhäusern erfolgte ebenfalls keine Reaktion, und ich bekam einen Vorgeschmack auf die Einsamkeit, die ihr bevorstand.
    Ich hob den Hausschuh auf, und wir führten sie über die Zufahrt zurück ins Haus.
     
    Abgesehen von dem Eingangsbereich mit dem Kronleuchter und einem Vorderzimmer, das von einer wie ein Bienenkorb geformten Tischlampe aus Keramik erhellt wurde, war das Haus dunkel. Milo legte einen Schalter um und enthüllte ein überraschend bescheidenes Interieur: niedrige Decken, weißer Teppichboden von Wand zu Wand, Möbelstücke, die in

Weitere Kostenlose Bücher