Fleisch und Blut
hören?«
»Red weiter.«
»Ein Teil von ihr kam zum Vorschein. Ein Bein. Der Fahrer hörte, wie sie auf den Boden fiel, ging hin, um nachzusehen, und legte den Rest von ihr frei. Sie war an Händen und Füßen gefesselt - bewegungsunfähig. Von hinten in den Kopf geschossen. Zwei Schüsse auf kurze Entfernung, beide ins Stammhirn. Der Pathologe sagt, eine Kugel hätte gereicht. Jemand war vorsichtig. Oder wütend. Oder beides. Oder er hat nur gern mit seinem Schießeisen gespielt.«
»Großes Kaliber?«
»Groß genug, um ihre Augen dunkel zu färben und ihr Gesicht so zu verändern. Alex, warum bist du -«
»Klingt nach einer Hinrichtung«, sagte ich. Es hörte sich gelassen und ausdruckslos an. Meine Augen füllten sich mit Wasser, und ich wischte daran herum.
Er antwortete nicht.
»Vier oder fünf Tage oder mehr«, fuhr ich fort. »Demnach ist es kurz nach ihrem Verschwinden passiert.«
»Sieht so aus.«
»Wie hast du sie identifiziert?«
»Sobald ich sie sah, wusste ich genau, wer sie war. Als ich für dich mit der Vermisstenstelle sprach, haben sie mir ihre Akte geschickt, und ich hab das Foto gesehen, das man bei ihrer Festnahme von ihr gemacht hat.«
»Nun ja«, sagte ich. »Jetzt kriegst du mal was anderes zu tun als deine kalten Fälle.«
»Die Sache tut mir Leid, Alex.«
»Ich habe ihrer Mutter gerade eine Nachricht auf Band gesprochen. Hab ihr gesagt, dass ich noch daran arbeite, Lauren ausfindig zu machen. Es geht doch nichts über den Erfolg, stimmt's?« Meine Augen schwammen, und es half nichts, sie mir nur mit der Hand zu wischen. Als ich nach meinem Taschentuch griff, wandte Milo sich ab.
Ich stand da und ließ die Tränen strömen. Was zum Teufel war bloß mit mir los? Tragödien waren nichts Neues für mich, ich hatte mich darin geübt, Distanz zu bewahren.
Lauren war mit fünfundzwanzig Jahren gestorben, aber meine Erinnerungen wurden von einem fünfzehnjährigen Gesicht dominiert. Zu viel Make-up, eine nutzlose, kleine schwarze Handtasche. Lächerliche Schuhe.
Ich habe mich verändert.
Sie sind erwachsen geworden.
Bin ich das?
Das Essen kam mir hoch, und diesmal glaubte ich nicht, es unterdrücken zu können.
Milos Stimme war weit entfernt, belegt und wie durch einen Trichter gesprochen. »Alles in Ordnung?«
Ich versuchte das Wort »Ja« herauszubringen. Drehte mich um und rannte die Gasse hoch, fand eine Stelle abseits des Tatorts und erbrach mich unter Krämpfen.
Der Reiswein und der Nachgeschmack eines guten japanischen Abendessens brannten mir in der Kehle.
Ich wartete in Milos zivilem Einsatzfahrzeug, während er tat, was er tun musste. Meine Kehle schmerzte, und mein Körper war von kaltem Schweiß überzogen. Trotzdem fühlte ich mich seltsam gelassen. Milo hatte sein Mobiltelefon auf dem Vordersitz liegen gelassen, und ich rief Robin an.
Sie ging sofort an den Apparat - sie hatte gewartet.
»Tut mir Leid, dass ich dir wieder einen Abend verderbe«, sagte ich.
»Was ist passiert?«
»Jemand ist getötet worden. Der Fall, den ich heute erwähnt habe - worüber ich nicht reden konnte. Ein Mädchen, das ich mal behandelt habe. Du wirst vermutlich morgen in der Zeitung davon lesen. Man hat gerade ihre Leiche gefunden.«
»Oh, mein Gott - ein Kind?«
»Eine junge Frau. Sie war ein Kind, als ich sie kennen lernte. Sie ist verschwunden, ihre Mutter bat mich um Hilfe - vielleicht werde ich mit Milo zu ihr fahren, um sie zu benachrichtigen. Ich kann nicht sagen, wann ich wieder zu Hause bin.«
»Alex, es tut mir so Leid.«
Ein Lachen schlüpfte zwischen meinen Lippen hervor. Unangemessen. Unerklärlich.
»Ich liebe dich«, sagte ich.
»Das weiß ich.«
Als Milo sich hinters Steuer setzte, erzählte ich ihm von Shawna Yeager.
Er sagte: »An den Fall erinnere ich mich - die Schönheitskönigin. Gott sei Dank hat ihn ein Kollege namens Leo Riley zugeteilt bekommen.«
»Schwerer Fall?«
»Von Anfang an ein Ding der Unmöglichkeit - nicht ein Fitzelchen Beweismaterial und keine Zeugen. Leo beklagte sich oft darüber - sein letzter Fall vor der Pensionierung, und er konnte ihn nicht abschließen. Er war der Ansicht, irgendein Perverser hätte sich das Mädchen geschnappt, seine Nummer mit ihr abgezogen und sie dann irgendwohin geschafft, wo niemand sie finden würde.« Er sah zu dem Müllcontainer. »Wer das hier getan hat, hat sich darüber keine Gedanken gemacht.«
»Das ist richtig«, sagte ich.
»Warum hast du mir von dem Yeager-Mädchen erzählt?«
Ich
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