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Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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den Fünfziger jähren teuer gewesen waren, rosabeige gestrichene Raufasertapeten an den Wänden, voll gehängt mit Bildern, die wie echte Picassos und Braques und kleine impressionistische Straßenszenen wirkten. Ein schmaler Streifen der Ostwand wurde von einem weißen Einbau-Bücherregal eingenommen, das mit gebundenen Büchern und schwarzen Aktenordnern voll gestellt war, zwischen denen gerahmte Plaketten und vergoldete Trophäen standen. Eine Rückwand aus Glas eröffnete den Blick auf gar nichts. Wir setzten Jane Abbot auf ein hartes meerblaues Sofa, und ich ließ mich neben ihr nieder, roch ihr Parfüm und ihren metallischen Schweiß. Milo nahm auf einem Lehnstuhl uns gegenüber Platz, der viel zu klein für ihn war. Sein Notizbuch steckte noch in seiner Tasche. Das würde sich bald ändern.
    Jane Abbots Hände zitterten, verfingen sich im Stoff ihres Morgenmantels, wurden zu verkrampften Krallen, an denen die Knöchel scharf hervortraten. Ihre Schreie wurden zu Schluchzern, die sich zu einem Schniefen reduzierten, durchbrochen von gequälten Quieklauten, in deren Takt sie sich wand und zusammenzuckte.
    Milo beobachtete sie, ohne dass es so aussah. Entspannt, aber nicht blasiert. Wie oft hatte er das schon gemacht? Plötzlich wurde sie still, und Schweigen ergriff von dem Haus Besitz - eine kalte, verdorbene Trägheit.
    Wo war der Ehemann?
    »Es tut mir Leid, Ma'am«, sagte Milo.
    »Mein Gott, mein Gott - wann ist es passiert?«
    »Lauren ist vor ein paar Stunden gefunden worden.«
    Sie nickte, als ergäbe das einen Sinn, und Milo begann damit, ihr die wesentlichen Dinge mitzuteilen, sprach dabei langsam, deutlich und mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme. Sie nickte weiterhin und begann sich im Rhythmus seiner Sätze zu wiegen. Rückte ein wenig von mir ab und wandte sich ihm zu. Die logische Neuorientierung. Ich begrüßte das.
    Er kam zum Schluss, wartete darauf, dass sie etwas sagte, und als sie das nicht tat, fuhr er fort: »Ich weiß, dies ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um Ihnen Fragen zu stellen, aber -«
    »Fragen Sie, was Sie wollen.« Sie umklammerte wieder ihren Kopf, und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Mein Baby - mein heiß geliebtes Baby\«
    Noch mehr Tränen. Ein Pieper ging los. Milo griff nach seinem, und Jane Abbot zog einen aus ihrem Morgenmantel.
    »Mein anderes Baby«, sagte sie müde. Sie erhob sich schwankend, ein Fuß immer noch nackt. Ich hielt den Hausschuh in der Hand und gab ihn ihr. Sie nahm ihn, lächelte ein schreckliches Lächeln, schlurfte ins nächste Zimmer und machte das Licht an. Das Esszimmer. Nachgemachtes Chippendale, weitere hübsche Gemälde.
    Sie berührte etwas neben einer Seitentür, woraufhin die Wände summten und die Tür aufglitt. Ein Aufzug. »Ich bin sofort wieder da.« Sie machte einen Schritt hinein und verschwand.
    Milo atmete hörbar aus, stand auf und ging herum, blieb an dem Bücherregal stehen und zeigte auf eine der Trophäen. »Hmm.«
    »Was ist?«
    »Ein paar Emmys ... aus den Fünfziger jähren ... frühe Sechziger. Preise der Writers Guild - und dieser ist von der Producers Guild ... Melville Abbot. Alle für Komödien. Hier ist ein Bild von Eddie Cantor ... Sid Caesar ... ›Dear Mel.‹ Hast du schon mal von ihm gehört?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich auch nicht. Fernsehautor. Von denen hört man nie was ...«
    Er zog einen von den schwarzen Ordnern heraus, murmelte »Drehbuch«, als die Tür des Aufzugs aufglitt und Jane Abbot herauskam. Sie schob einen Mann in einem Rollstuhl vor sich her. Ihr rosafarbener Morgenmantel war durch einen langen schwarz-silbernen Seidenkimono ersetzt worden. Die flauschigen Hausschuhe trug sie immer noch.
    Der Mann trug einen perfekt gebügelten Schlafanzug mit weiß paspelierten Aufschlägen. Er sah aus wie achtzig oder älter. Eine braune Kaschmirdecke lag über einem derart eingefallenen Schoß, dass man unter dem Stoff kaum eine Erhebung wahrnahm. Sein schmaler grauer, eiförmiger Kopf war bis auf weiße Quasten an den Schläfen haarlos. Seine Nase war ein schlaffer lachsfarbener Ballon, sein Mund zusammengezogen und lippenlos über einem eingefallenen Kinn. Kleine braune Augen - lustige Augen - musterten uns, und er kicherte. Jane Abbot hörte es und zuckte zusammen. Sie stand hinter ihm, ihre Hände umklammerten die Griffstange des Rollstuhls, ihr ernster Blick vorwurfsvoll.
    Er winkte uns mit erhobenem Daumen zu und rief mit schriller, aber kräftiger Stimme: »'n Abend! Les gendarmes? Bon

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