Fleisch
haben sollen, hinauszukommen, frische Luft zu atmen, aufstehen und sich strecken zu können. Und doch zögerte sie. Sie wusste, dass sie weiteres unbekanntes Gelände betreten würde, sobald sie von unter dem Haus hervorkroch. Und deswegen zögerte sie.
Sie hockte sich auf ihre Fersen und sah Johnny noch einmal an.
„Was soll ich bloß deiner Mutter sagen, verdammt noch mal?“
29. KAPITEL
Washington, D. C.
Dieses Mal musste Mary Ellen Wychulis nicht warten. Als sie aus dem Aufzug trat, stand ihre Chefin schon in der Tür zu ihrem Büro und winkte sie hinein.
Ein Fernseher dröhnte aus einem Schrank, den Mary Ellen noch nie offen gesehen hatte. Irene Baldwin stellte mit der Fernbedienung den Ton ab, als sie daran vorbeiging, und ließ sich dann in ihren Schreibtischsessel fallen. Dieses Mal kam auch kein Befehl, dass sie sich setzen solle, aber Mary Ellen nahm denselben Platz ein und setzte sich wie immer ganz vorne auf die Kante.
„Warum erfahre ich von einer möglichen Lebensmittelvergiftung an einer unserer Schulen – einer der Schulen in unserem Bezirk – von CNN?“
„Die Schule hat uns nicht benachrichtigt.“
„Ich habe ein halbes Dutzend Telefonate geführt, und niemand scheint zu wissen, was da vorgefallen ist. Jemand vom CDC“, sie blätterte in ihrem Schreibblock, „ein gewisser Roger Bix, sagte mir, er habe uns vor zwei Tagen einen Bericht über eine weitere Verunreinigung an einer Highschool in Norfolk, Virginia, geschickt. Er sagte, man habe ihm mitgeteilt, dass man die Lage prüfen und sich wieder bei ihm melden würde. Ich erinnere mich nicht daran, diesen Bericht erhalten zu haben, und ich weiß, dass ich mit dem Mann nicht gesprochen habe. An eine derart herablassende, arrogante Stimme würde ich mich mit Sicherheit erinnern.“
Mary Ellen hielt ihre Hände still, auch wenn es ihr erster Impuls gewesen war, sie in ihrem Schoß zu ringen. Ihr Herz schlug so laut, dass sie sicher war, Baldwin könne es hören.
„Haben Sie mit Roger Bix gesprochen?“, fragte ihre Chefin.
Mary Ellen hatte täglich mit Dutzenden von Anrufen und sogar noch mehr E-Mails zu tun: Berichte, Anträge, Beschwerden. Wie konnte man da von ihr erwarten, dass sie sich an jeden einzelnen Vorgang erinnerte, ohne es vorher nachzuprüfen? Und doch war sie in der Lage, unverzüglich zu antworten.
„Ja, ich habe mit ihm gesprochen, aber ich habe ihm dringend nahegelegt, sich an Staatssekretär Eisler zu wenden. Seine Abteilung ist für das ‚National School Lunch Program‘ zuständig. Ich habe ihm außerdem die notwendigen Formulare geschickt, anhand derer festgestellt wird, ob die Situation eine Einschätzung der Abteilung für Agroterrorismus nötig macht.“
„Agroterrorismus? Hat er es als Terrorakt bezeichnet?“
„Er deutete an, dass die Verunreinigung absichtlich erzeugt worden sein könnte.“
„Das heißt also, er hat angerufen, weil er unsere Hilfe brauchte bei etwas, was er für eine gezielte Lebensmittelvergiftung an einer öffentlichen Highschool hielt, und Sie haben ihm Formulare zum Ausfüllen geschickt?“
„Das ist die übliche Vorgehensweise, um so einen Fall zu beurteilen. Außerdem habe ich ihn an Staatssekretär Eisler verwiesen.“
Baldwin schüttelte den Kopf, und Mary Ellen machte sich auf eine Standpauke gefasst. Stattdessen sagte ihre Chefin: „Können wir uns nicht einfach die Unterlagen über die Kontrollen an diesen beiden Schulen besorgen? Um zu sehen, ob eine gemeldet oder verwarnt wurde? Und überprüfen, ob sie ihre Nahrungsmittel von demselben Lieferanten beziehen?“
„Wir müssten die Unterlagen von den Bundesbehörden von Virginia und Washington anfordern.“
„Ist denn nicht das Landwirtschaftsministerium für die Kontrolle von Schulcafeterias und -küchen zuständig?“
„Wir kümmern uns zwar um das ‚National School Lunch Program‘, aber diese Unterlagen haben wir nicht.“
„Na gut. Und was haben wir dann überhaupt?“
Es war schon spät, und Mary Ellen hatte nicht mehr die Geduld für eine weitere Runde sarkastischer Bemerkungen ihrerChefin. Sie wollte einfach nur nach Hause gehen zu ihrem wunderbaren kleinen Jungen und ihrem liebevollen Ehemann. Dass Schulkindern übel wurde, war Pech, aber es kam eben vor. Kinder zogen Viren magisch an. Roger Bix hatte sich wie ein arroganter Idiot angehört. Sogar Baldwin dachte das nach ihrem Gespräch mit ihm. Mary Ellen war es leid, dass der CDC sich wichtig machte und sich jeder Regierungsstelle für
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