Fleisch
selbst immer wieder in so einen Schlamassel bringen?“
„Wie bitte? Was denken Sie denn, wovor Sie mich jemals beschützt haben? Ich muss außerdem nicht beschützt werden.“
Während sie dies sagte, betrachtete sie sich im Spiegel. Unter dem schonungslosen Neonlicht schien die Narbe auf ihrem Bauch und an ihrer Seite deutlicher hervorzutreten. Ihr Gesicht war schmutzig von der Erde unter dem Haus der Boshs. In ihren Haaren hingen immer noch Reste von Spinnweben. Ihre Ärmel hatten Löcher bekommen, und ihre Ellbogen waren verschmiert mit Blut und Schmutz vom Kriechen. Gut, vielleicht sah sie in diesem Moment nicht ganz frisch aus, aber trotzdem war sie nicht jemand, der beschützt werden musste.
Sie stellte fest, dass Kunze nichts mehr gesagt hatte, und fragtesich gerade, ob die Verbindung abgebrochen sei, als sie ihn einen Seufzer ausstoßen hörte.
„Sie haben drei Veranstaltungen bei der Tagung der Strafverfolgungsorgane in Denver, die morgen beginnt.“
„Jeder erfahrene Police Detective, der die Ausbildung in Quantico absolviert hat, könnte diese Seminare leiten.“
„Das ist richtig, aber ich habe nicht irgendeinen Detective dahingeschickt, sondern Sie . Bitte sorgen Sie dafür, dass die Teilnehmer morgen nicht ohne Leiterin dasitzen! Wir sehen uns am Montag, Agent O’Dell.“
„Am Montag fliege ich zurück.“
„Wir sehen uns am Dienstagmorgen, Agent O’Dell.“
Sie hörte das Klicken und wartete auf das Tuten des Freizeichens. Er beendete seine Anrufe so abrupt, wie er sie begann.
Nur Minuten zuvor hatte sie dieselbe Entscheidung getroffen wie Kunze. Warum hatte sie jetzt mit ihm diskutiert? Er hatte sie mit diesem Satz über das Beschützen aus dem Konzept gebracht. Was, zur Hölle, hatte er damit gemeint? Seit Kunze Cunningham ersetzt hatte, hatte er sie schikaniert, hatte sie infrage gestellt, in das Lagerhaus eines Killers geschickt und in das Auge eines Hurrikans. Er hatte ihr ins Gesicht gesagt, dass er der Meinung sei, fahrlässiges Verhalten ihrerseits habe zu Cunninghams Tod beigetragen, und dass sie sich nun ihm gegenüber erst einmal zu beweisen habe. Aber wie oft musste sie sich ihm beweisen?
Allein im letzten Jahr hatte sie einen großen Teil des Rätsels um den Bombenanschlag auf die Mall of America gelöst. Aber das hatte dazu geführt, dass Kunze und sie sich auf entgegengesetzten Seiten politischer Interessen wiedergefunden hatten. Letzten Monat hatte sie einen Hurrikan überlebt und Machenschaften aufgedeckt, die die US Navy schlecht aussehen ließen. Und war damit schon wieder mit ihrem politisch korrekten und gut vernetzten Chef aneinandergeraten. Was war aus der Maxime geworden, stets das Richtige zu tun, ohne auf die Konsequenzen zu achten? Cunningham hatte sie immer verstanden.
Gut, manchmal war er auch fuchsteufelswild auf sie gewesen, aber er hatte sie verstanden. Er mochte ihre Mittel kritisiert haben, aber niemals ihre Absicht.
Sie versuchte, sich an dem kleinen Waschbecken zu waschen, so gut das eben mit harten braunen Papierhandtüchern, die den Schmutz eher abkratzten denn abwischten, ging. Dann zog sie frische Kleider an. Bürstete sich sie Haare. Und schon fühlte sie sich besser.
Sie rollte ihre schmutzige Kleidung zusammen und begann, sie in eine Seitentasche ihres Koffers zu stopfen, als etwas zu Boden fiel.
Johnnys Mobiltelefon.
Sie hatte es völlig vergessen. Dieses kalte, fröstelnde Gefühl kam wieder über sie. Sie klappte den Toilettendeckel herab und setzte sich darauf. Dawsons Augen fielen ihr ein, gestern Nacht, heute Vormittag. Johnnys Augen, vor nur wenigen Minuten.
In diesem Moment traf sie eine Entscheidung.
Kunze hatte gesagt, er wolle nicht, dass die Seminarteilnehmer ohne Leiter dasaßen. Sie würde dafür sorgen, dass dem nicht so war.
Sie nahm ihr Handy und scrollte durch ihr Telefonbuch. Als sie vorigen Monat in Florida gewesen war, hatte sie einen Detective aus Denver kennengelernt. Glen Karst war ein erfahrener Ermittler der Mordkommission, und er hatte den Kurs über Täterpsychologie in Quantico besucht. Sie wählte seine Nummer und hoffte, dass er am Wochenende noch nichts vorhatte.
31. KAPITEL
„Hat die Spurensicherung im Wald noch was gefunden?“, fragte Maggie, sobald sie wieder auf der Straße waren.
„Wir haben den Stromdraht gefunden, in den Dawson Hayes gerannt ist. Jemand muss ihn abgeschnitten und vom Zaunpfosten losgemacht haben, und dann hat er ihn zwischen den Bäumen aufgespannt.“
„Wie eine
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