Fleisch
es sich ansehen konnte, bevor sie es der Familie aushändigte oder – peinlich, peinlich – dem Bezirksstaatsanwalt Cushman.
„Okay, dann zeige ich euch mal, was ich bisher so gefunden habe.“
Lucy gab Kyle zum Abschied zwei sanfte Klapser auf die Brust, so als wolle sie dem Jungen sagen, sie käme gleich zurück. Maggie war gerührt von der Intimität dieser Geste. In den zehn Jahren als FBI-Agentin und während ihrer Forensik-Ausbildung zuvor hatte sie Dutzenden von Rechtsmedizinern zugesehen und mit ihnen gearbeitet. Sie war der Ansicht, dass eine spezielle Persönlichkeit nötig war, um mit den Toten umzugehen, um Gewebe zu schneiden, Maden herauszuziehen, Gehirne zu entnehmen und Organe zu zerteilen – kurz, denmenschlichen Körper in seine Einzelteile zu zerlegen, um ein Rätsel zu lösen, eine Geschichte zu erzählen und hoffentlich Geheimnisse zutage zu fördern, die der Mörder nicht verbergen konnte. Maggies Erfahrung zufolge achteten die Rechtsmediziner auf Details, lösten effizient Probleme und waren eher verstandes- als gefühlsorientiert. Auch wenn sie respektvoll mit den Opfern umgingen, hatten ihre chirurgischen Handgriffe nichts Persönliches an sich. Sie hatte es unzählige Male erlebt, dass ein Rechtsmediziner einem Polizeibeamten einen strafenden Blick zugeworfen hatte, wenn dieser sein eigenes Unwohlsein angesichts der Prozedur mit einer unpassenden Bemerkung überspielen wollte.
Aber die Art, wie Lucy Coy im Obduktionssaal ihrer Tätigkeit nachging, hatte noch etwas anderes. Maggie sah zu, wie sie ein Laken von dem ersten Jungen zog – ein Laken war an und für sich schon eine Aufmerksamkeit, die in diesem Stadium einer Autopsie selten Verwendung fand.
„Lucas weist äußerliche Anzeichen eines tödlichen Stromschlags auf. Ihn haben wir auch schon im Wald untersucht.“ Sie nahm vorsichtig seinen rechten Fuß in die Hand und drehte ihn langsam, als wolle sie dem Jungen nicht wehtun, um ihnen das Ausmaß der Beschädigung zu zeigen.
Bereits im Wald hatte Maggie bemerkt, dass Lucas’ knöchelhoher Turnschuh von seinem rechten Fuß geflogen war und einen schwarzen Fleck auf seiner Socke hinterlassen hatte. Ohne Schuh und ohne Socken konnte sie nun die geplatzten Blutgefäße an seinem Fußrücken und die lederartige Verbrennung an der Sohle sehen.
„Bei tödlichen Stromschlägen“, führte Lucy aus, während sie seinen Fuß niederlegte und zum Kopfende des Stahltisches ging, „gibt es eine Stelle, an der die Elektrizität in den Körper eintritt. Oft ist das der Kopf, oder es sind die Hände. In Lucas’ Fall war es oben an seiner linken Schulter. Sie deutete mit dem Kinn auf die deutlich sichtbare Wunde, wo die Haut rot, geschwollen und mit Blasen bedeckt war. „Der Stromwird durch den Körper geleitet. Für gewöhnlich nimmt er den Weg des geringsten Widerstandes. Nerven und Gewebe bieten weniger Widerstand als die Haut. Der Austritt erfolgt oft an den Füßen.“
Sie winkte sie zu sich heran, um sie einen Blick in den geöffneten Brustraum werfen zu lassen. Maggie stellte fest, dass Lucy noch keines der Organe entfernt hatte.
„Die Muskeln ziehen sich zusammen. Das Nervensystem spielt verrückt. Und je nach der Stärke der Spannung können Blutungen in den Organen – inklusive des Gehirns – auftreten. Wie ihr hier sehen könnt.“
Donny hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben. Ohne seinen Stetson sah er irgendwie entwaffnet aus, fand Maggie. Aber ihn schien all dies nicht zu beeindrucken.
„Das war definitiv kein Taser“, sagte er nun.
„Nein. Ganz sicher kein Taser.“
„Haben Sie eine Vermutung, woher die Elektrizität gekommen sein könnte?“, fragte er.
„Sehen Sie sich den Eintrittsort einmal genauer an.“
Lucys roter Latex-Finger strich über die Schulterverletzung. „Hat einer von Ihnen Erfahrung mit Laserschnitten?“
Sie verharrte, während sich Donny und Maggie ansahen. Die Frage schien aus heiterem Himmel zu kommen, wie von einem Professor, der eine Fangfrage stellte, mit deren richtiger Beantwortung man Bonuspunkte einsammeln konnte. Lucy spannte sie nicht lange auf die Folter.
„Laserstrahlen schneiden, indem sie Moleküle verbrennen oder auseinanderbrechen, die das Gewebe zusammenhalten. Es scheint so, als wäre Lucas ein Schnitt zugefügt worden, als die Elektrizität in seine Schulter fuhr. Seht es euch an!“ Sie trat einen Schritt zurück. „Laser verbrennen automatisch das Gewebe um die Schnitte, daher sieht man kein
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