Fleischeslust - Erzaehlungen
wieder ausgebuddelt.
»Ich auch«, sagte ich und legte beide Hände an die Schläfen.
Sie antwortete nicht, akzeptierte aber den Kaffee, den ich ihr eingoß. Nach einer Weile deutete sie aus dem Fenster, wo eine Nachbarin gerade ihren Hund in den Sträuchern wühlen ließ, die unser kleines Rasenstück begrenzten. »Siehst du den Hund dort, Casey?« fragte sie.
Ich nickte.
»Er ist ein sehr glücklicher Hund.«
»Glücklich?«
»Ja«, sagte sie langsam und lethargisch, den Vokal dehnend. »Dieser Hund hat noch niemals Wodka getrunken.«
Ich lachte, aber meine Augen fühlten sich an, als würden sie in meinen Kopf gesaugt, und der Kaffee brachte meine Innereien zum Gurgeln.
Und dann überraschte sie mich wieder einmal. Draußen war der Hund inzwischen verschwunden, grob an seiner Leine weitergeschleift. Die Kaffeemaschine blubberte. Zwei Blocks weiter ließ jemand seinen Motor aufheulen. »Casey«, sagte sie, ganz ernst und ganz gefaßt, und sah mir dabei tief in die Augen. »Willst du nicht mich heiraten?«
Den zweiten Krach hatten wir am Monatsende, als die Telefonrechnung kam. Vierhundertsiebenundzwanzig Dollar und zweiundsechzig Cents. Ein paar Anrufe waren von mir – da war die Nummer meines Anwalts, die von Rob Peterman, ein besoffener cri de cœur an eine alte Flamme (inzwischen verheiratet) in Santa Barbara. Aber alles andere waren Überseegespräche – Moskau, Nowgorod, London, Paris, Mailand. Ich war empört. Ich konnte es nicht fassen. Wieso sollte ich für ihre Rechnungen aufkommen? Ich wollte sie nicht heiraten, wie ich ihr am Morgen nach dem Odessa erklärt hatte. Ich sagte ihr, ich sei gerade geschieden und recht kritisch gegenüber neuen Bindungen, was ja auch stimmte, und ich hätte immer noch Gefühle für meine Frau, was ebenfalls stimmte (zwar bestanden diese ausschließlich in Antipathie, was ich jedoch nicht erwähnte). Irina hatte mich nur angestarrt, dann hatte sie sich vom Küchentisch erhoben und war, unter lautem Türenknallen, in ihr Zimmer verschwunden.
Jetzt aber, jetzt war sie irgendwo unterwegs – bestimmt sah sie sich in irgendeinem Kaufhaus Popcornautomaten oder Wasseraufbereiter an –, das Haus war das reinste Chaos, ich hatte noch nicht einmal meine Krawatte gelockert, und die Telefonrechnung löste heftige Schockwellen in meinem Kopf aus. Ich hatte mir gerade einen Drink eingegossen, als ich sie mit den Schlüsseln klappern hörte; strahlend und selbstvergessen kam sie herein, beladen mit raschelnden Einkaufstüten und billigem Modeschmuck, und ich ging sofort mit der Rechnung auf sie los. »Ist dir klar, was das bedeutet?« brüllte ich. »Ist dir klar, daß Telefonieren in dieser Gesellschaft nicht gratis ist, daß das jemand bezahlen muß? Daß ich das bezahlen muß?«
Sie betrachtete mich mit eisiger Miene. Ihre Augen wurden zu Schlitzen; das Kinn bebte. »Ich werde es bezahlen«, sagte sie, »wenn du das so siehst.«
»Wenn ich das so sehe?« schrie ich. »Wenn ich das so sehe? Jeder zahlt für sich im Leben, so sehe ich das. So funktioniert das System, ob’s einem gefällt oder nicht. Vielleicht ist es im Arbeiterparadies ja anders, keine Ahnung, aber hier hältst du dich gefälligst an die Regeln.«
Dazu hatte sie nichts zu sagen – sie fixierte mich nur mit diesem verächtlichen Blick, als wäre ich der Unvernünftige von uns beiden, und in diesem Moment erinnerte sie mich an Julie, meine Exfrau, so als hätte sie sich mit ihr verbündet, als wäre sie ihre Doppelgängerin, und ich fühlte mich verbittert und zutiefst angewidert. Ich ließ die Telefonrechnung auf den Tisch neben der Tür fallen und marschierte hinaus.
Als ich am nächsten Tag von der Arbeit kam, war die Rechnung immer noch da, aber direkt daneben lagen fünf druckfrische Hundertdollarscheine, aufgefächert wie ein Blatt beim Pokern. Irina war in der Küche. Ich wußte nicht, was ich zu ihr sagen sollte. Plötzlich schämte ich mich.
Ich schlich durch die Wohnung, drapierte mein Sportsakko über eine Stuhllehne und ging an den Kühlschrank, um mir ein Glas Orangensaft zu holen. »Hallo, Casey«, sagte sie und sah von ihrer Zeitschrift auf. Es war eines dieser Frauenmagazine, die so dick wie Telefonbücher sind.
»Tag«, sagte ich. Und dann, nach einer Pause, während der sich mein Glas allmählich mit Orangensaft füllte und ich dumpf aus dem Fenster in verschwommenes Grün glotzte, sprach ich sie doch an. »Irina«, murmelte ich, und die Worte blieben mir fast im Hals stecken,
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