Fleischeslust - Erzaehlungen
»übrigens vielen Dank für die Telefonrechnung – für das Geld, meine ich.«
Sie sah mich an und zuckte die Achseln. »Ist nicht wichtig«, sagte sie. »Ich habe jetzt einen Job.«
»Einen Job?«
Und da war ihr Lächeln, die spitzen kleinen Zähnchen. »Da« , sagte sie. »Ich habe im Odessa diesen Mann getroffen, als ich letzten Donnerstag dort Tee trinken war, ja? Weißt du noch, ich habe es dir erzählt? Er heißt Zhenja, und der hat mir einen Job angeboten.«
»Prima«, sagte ich. »Großartig. Das sollten wir feiern.« Ich erhob mein Glas, als wäre Perrier-Jouët drin. »Was für einen Job?«
Sie blickte in ihre Zeitschrift, dann sah sie wieder auf, direkt in meine Augen. »Begleitservice.«
Ich dachte, ich hätte nicht recht gehört. »Wie? Was hast du gesagt?«
»Es ist ein Begleitservice, Casey. Zhenja meint, diese Männer, die hierherkommen wegen wichtiger Geschäfte – Filmleute, Banker, Makler und so –, sie werden mich gern mögen. Er sagt, ich bin sehr schön.«
Ich war fassungslos. Ich fühlte mich, als hätte es mir den Atem verschlagen. »Das meinst du doch nicht ernst?« Meine Stimme überschlug sich, war ein Jaulen. »Irina, das –« mir fehlten die Worte –, »das ist nicht richtig, es ist gegen das Gesetz. Das ist, das ist Prostitution, weißt du das nicht?«
Sie musterte mich, aus verschlagenen Augen, aus dem kleinen Nugget ihres Gesichts, Sie seufzte, schlug die Zeitschrift zu und stand auf. »Es ist kein Problem«, sagte sie schließlich. »Wenn ich sie nicht mag, ich werde nicht mit ihnen schlafen.«
Und was ist mit mir? wollte ich sagen. Was ist mit Disneyland und Zuma Beach und all dem anderen? Statt dessen ging ich auf sie los. »Du spinnst«, fauchte ich. »Total verrückt. Ist dir nicht klar, in was du da hineingerätst?«
Ihr Blick hatte mich nicht losgelassen, keine Sekunde lang. Sie stand ganz dicht vor mir. Ich konnte ihr Parfum riechen – französisch, vierhundert Dollar die Unze. Sie zuckte die Achseln und hob dann die Arme, so daß ihre Brüste sich auf ihren Rippen spannten. »Was soll ich denn tun«, sagte sie mit ihrem allerdünnsten Stimmchen, voller Tristesse und Apathie. »Ich habe nichts, und du willst mich nicht heiraten.«
Das war das Ende für uns, und wir wußten es beide.
Ich ging mit ihr an diesem Abend essen, aber es war ein Requiem, eine Bestattung. Sie starrte ins Leere. Keiner von uns hatte viel zu sagen. Als wir zurückkehrten, sah ich kurz ihr Gesicht im Licht der Lampe, die sie anknipste, und ich spürte, wie sich etwas in mir regte, aber ich würgte es ab. Jeder von uns ging in sein Zimmer und in sein eigenes Bett.
Am nächsten Morgen saß ich vor einer Tasse mit lauwarmem Kaffee und schaute ihr beim Packen zu. Sie sah niedlich und traurig aus, und sie bewegte sich, als kämpfte sie gegen eine unsichtbare Strömung an, treibendes Haar, durch die Dachsparren glitten unsichtbare Fische. Ich wußte nicht, ob diese Begleitservice-Geschichte ein Bluff war, wußte nicht, wie naiv – oder wie berechnend – sie war, aber ich fühlte mich, als wäre eine Last von meinen Schultern genommen. Jetzt, da es vorbei war, sah ich sie bereits in einem anderen Licht, einem weicheren Licht, und Schuldgefühle begannen an mir zu nagen. »Hör mal, Irina«, sagte ich, als sie mit ihrem Koffer kämpfte, der nicht zugehen wollte, »tut mir leid. Wirklich. Es tut mir leid.«
Sie warf das Haar mit einer Kopfbewegung zurück und schlüpfte in ihre babyblaue Lacklederjacke.
»Irina, sieh mich an –«
Sie sah mich nicht an. Sie beugte sich über den Koffer, um die Schnallen zuzudrücken.
»Das hier ist kein Gedicht, Irina«, sagte ich. »Das ist das Leben.«
Sie wirbelte so abrupt herum, daß ich zurückwich. »Ich bin so, Casey«, sagte sie und durchbohrte mich mit Blicken. »Ich kann für die Liebe sterben.«
In diesem Augenblick überkam mich die ganze Verbitterung erneut, all die Verletzungen und Schuldgefühle. Zhenja, Japan, der mysteriöse Wohltäter in Moskau, Rob Peterman – und wie viele andere noch? Es war freies Unternehmertum, es war Handel und Wandel, Kaufen und Verkaufen – und wo war die Liebe in alledem? Noch schlimmer: wo war die Liebe in mir?
Ich war hart, wie ein Stein, wie aus Granit. »Dann stirb dafür«, sagte ich.
Dieser Satz hing zwischen uns wie ein Vorhang. Ein Auto fuhr draußen vorbei. Ich hörte das stetige Tröpfeln des Wasserhahns in der Küche. Und dann senkte sie den Kopf, als beugte sie sich unter einem Schlag, und
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