Fleischeslust - Erzaehlungen
nach dem Süßstoff und ihren Tabletten den Schrank durchwühlt hatte; im selben Moment hörte er auch das leise Gebrabbel des Fernsehers im Nebenzimmer. Er fummelte an der Espressomaschine herum, nun schon leicht gestreßt – die Zimmerleute für das Balkenwerk waren für sieben Uhr dreißig angesagt, der Klempner für acht –, als sie in der Tür erschien.
Muriels Miene baute sich um die Spitze ihrer irisch-schottischen Nase und den verkniffenen Schmollmund der üppigen Lippen auf. Sie war klein und gedrungen, und ihre Zehenspitzen lugten unter dem Saum des Nachthemds hervor. »Wo zum Teufel bist du gewesen?« wollte sie wissen.
Er drehte sich zum Ofen. Ein stechender Schmerz fuhr ihm durch die Hüfte – ein Wetterwechsel stand bevor, das spürte er. »Wir hatten kein Brot mehr, Schatzi«, sagte er und wandte ihr sein Profil zu, während er die Eier mit dem Löffel aus der Schale hob. »Ich mußte schnell zum Quick-Stop rüber.«
Das besänftigte sie offenbar, denn sie verschwand im Wohnzimmer und hockte sich mit ihrer Kaffeetasse vor den Fernseher. Willis konnte die Mattscheibe von der Küche aus sehen, wo er Toast röstete, Espresso aufbrühte und Orangen auspreßte. Eine quietschvergnügte Frau mit breitem hellem Gesicht und Haaren wie aus Zuckerwatte flötete irgendwas über das Abnehmen und eine neue Keksmarke aus Seetang. Willis schob Muriels Sachen auf einem Tablett zurecht und trug es ihr hinein.
Sie musterte ihn grimmig, als er das Tablett auf das Tischchen stellte, doch dann lächelte sie und packte seinen Arm, um ihn an sich zu ziehen, ihm einen Kuß aufzudrücken und zu sagen, wie er sie doch verwöhnte. »Ich muß jetzt los, Schatzi«, murmelte er und war am Hinausgehen, dachte schon an das Auto, die Straße, das Haus am Meer, das sich vor seinen Augen entwickelte wie ein wahrgewordener Traum.
»Du bist zum Mittagessen wieder zu Hause?«
»Ja, Schatzi«, brummte er, und dann unterlief ihm eine fatale Fehleinschätzung: er blieb kurz vor dem flimmernden Fernseher stehen. Inzwischen war die zuckersüß flötende Sprecherin von einem Meteorologen abgelöst worden, der in einem albernen Anzug mit Fliege dastand und grimassierte wie der Türsteher eines Nachtclubs, und Willis verweilte noch – er hatte den Wetterwechsel in der Luft gerochen und spürte ihn im Hüftgelenk, deshalb war er neugierig. Immerhin würde er diesem Wetter den ganzen Tag lang ausgesetzt sein.
In diesem Augenblick erscholl aus den Tiefen der Couch, wie von den Ringplätzen bei einem Boxkampf, Muriels Schrei – schrill, keifend, fassungslos über den Treuebruch. »Und was soll das hier sein?« gellte sie und erklärte damit den Wettermenschen samt Karten, Zeigestock, Satellitenfotos, ja den Fernseher selbst für null und nichtig.
»Was denn, Schatzi?« brachte Willis heraus, und seine Stimme war ein kleines huschendes Wesen, das in seinem Loch verschwand. Vor den Fenstern war es grau. Der Wetterredakteur schwadronierte über Windstärken und Temperaturen.
»Dieser, dieser... Toast .«
»Dein Brot hatten sie nicht, Schatzi, und Waldbaums Laden macht erst in einer Stunde auf...«
»Du Dreckskerl.« Im Nu war sie auf den Beinen, puterrot im Gesicht und nach Atem ringend. »Hab ich dir nicht gestern abend gesagt, wir müssen noch einkaufen gehen? Hab ich dir nicht gesagt, daß ich ein paar Sachen brauche?«
Sie waren nun seit zwei Jahren zusammen, und Willis wußte, daß sich Debatten mit ihr nicht lohnten – nicht zu dieser Stunde, nicht bevor sie Toast und Ei gegessen hatte, nicht bevor sie von der endlosen Parade aus Quizshows und Seifenopern sediert war, die unerbittlich durch ihre Vormittage stampfte. Er konnte nichts weiter tun, als bußfertig die Schultern hängen zu lassen und zum Ausgang zu schleichen.
Doch sie kam ihm zuvor, sie schoß auf ihn zu und schrie dabei: »Ja, natürlich, laß mich nur allein, geh zu deiner Arbeit und laß mich hier zurück, du Dreckskerl!« Bei ihrer Laune konnte alles passieren, das wußte er, und er wich vor ihr zurück, doch plötzlich änderte sie den Kurs, ließ abrupt von ihm ab und packte das Frühstückstablett, daß Geschirr und Besteck klapperten und siedendheiße schwarze Flüssigkeit schwappte. »Toast!« rief sie. »Toast nennst du das?!« Und dann sah er entsetzt zu, wie das Tablett durch den Raum segelte wie ein Cruise-Missile, unbeirrt und pfeilschnell, haarscharf an der Lampe vorbei, knapp über die Lehne der Couch hinweg auf sein unausweichliches Ziel zu: das
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