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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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wieder zornig. Dieser Dreckskerl. Nie dachte er an sie, nie. Jetzt hatte sie den ganzen düsteren, vernieselten, elenden Tag vor sich – ohne Fernsehen, ohne Freunde, ohne Freude – und nicht einmal den Trost der Zeitung.
    Als sie vor dem Haus stand, ohne viel Hoffnung unter die Büsche sah und dabei bemerkte, wie nachlässig der Gärtner gearbeitet hatte – na, der würde was von ihr zu hören kriegen, mein lieber Schwan! –, bog mit einem sanften Seufzen der Bremsen ein großer brauner UPS-Lieferwagen auf die Einfahrt ein. Der Fahrer war ein junger Mann, gutaussehend und breitschultrig, und einen Moment lang hatte sie eine Vision von Lester Gaudinet, wie er damals gewesen war. Lester Gaudinet. Wo der jetzt wohl war? Gott allein wußte, ob er überhaupt noch lebte... aber wie gern hätte sie ihn mal wiedergesehen, das wäre doch was.
    »Mrs. Willis Blythe?« Der Mann war über den Rasen gegangen und stand jetzt dicht neben ihr, ein Paket unter dem Arm.
    »Ja?« sagte sie. Ein Wind kam auf und riß ihr zusammengebundenes Haar auseinander.
    Der Mann hielt ihr einen Block hin, der Wind ließ die Seiten flattern. »Unterschreiben Sie hier«, bat er und reichte ihr einen Stift. Sie sah eine Liste von Namen und Unterschriften und das große rote X, das auf das leere Feld neben ihren Namen gekrakelt war.
    Sie nahm ihm den Block ab und lächelte in seine meergrünen Augen, in Lesters Augen. Sie mußte einfach versuchen, diesen Moment möglichst lange hinauszuzögern. »Scheißwetter heute, was?« sagte sie.
    Er wirkte angespannt und unruhig, als würde er gleich aus den Startlöchern flitzen und auf der Aschenbahn davonstieben. »Ein Sturmtief«, sagte er. »Der Hurrikan streift angeblich knapp an uns vorbei, bis auf einen Wolkenbruch heute nachmittag – wenigstens haben sie das im Radio gesagt.«
    Sie hielt den Block immer noch in der Hand und beugte sich vor, um zu unterschreiben, doch dann kam ihr ein Gedanke, und sie richtete sich wieder auf. »Ja, diese Sturmtiefs«, sagte sie mit verächtlichem Unterton. »Und vermutlich heißt das jetzt Bill oder Fred oder so, nicht wie früher, als man noch so intelligent war, sie nach Frauen zu benennen. Ist doch eine Schande, finden Sie nicht?«
    Der UPS-Mann trat auf dem weichen Rasenteppich verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Tja«, sagte er, »sicher – aber würden Sie bitte unterschreiben, Ma’am? Ich muß noch...«
    Sie hob die Hand, um ihn zu bremsen. Mein Gott, sah der gut aus – genau wie Lester. Natürlich war Lester größer gewesen, hatte einen Schnurrbart gehabt und hübschere, irgendwie hellere Augen... »Ich weiß, ich weiß – Sie haben noch Tausende von Lieferungen zu machen.« Sie musterte ihn mit festem Blick. »Frauen sind wie Stürme, das haben die damals begriffen« – flirtete sie etwa mit ihm? Ja, wirklich, das war es –, »aber jetzt heißt es Hurrikan Tom, Dick oder Harry. Ist doch zu blöd, oder?«
    »Ja«, sagte er, »sicher, aber...«
    »Okay, okay, ich unterschreib schon.« Sie signierte den Lieferschein mit der sauberen, eckigen Schrift, die sie vor ewigen Zeiten in der kirchlichen Schule gelernt hatte, dann strahlte sie ihn mit ihrem kokettesten Lächeln an – warum nicht, war sie etwa zu alt? Nicht in dieser Welt, nicht bei alldem, was man heutzutage so im Fernsehen sah. Sie berührte ihn am Arm und hielt ihn kurz fest, während er ihr das Päckchen gab. »Danke schön«, murmelte sie. »Sie sehen verdammt gut aus, wissen Sie das?«
    Und er stand da wie ein Trottel, wie ein Schuljunge, und wurde tatsächlich rot. »Ja, ja«, stammelte er, »ich meine, nein, ich meine, danke.« Und dann rannte er über den Rasen, der Papierblock flatterte im Wind, der jetzt auch ihr Haar wieder zerzauste. »Schönen Tag noch«, rief sie, aber er hörte sie nicht mehr.
    Im Haus sah sie sich das Päckchen kurz an – auf dem Etikett stand »Frinstell Corporation« –, dann ging sie in den Hobbyraum, um eine Schere zu holen. Frinstell Corporation, dachte sie und murmelte den Namen vor sich hin, was war denn das nun wieder? Sie schnitt laufend Anzeigen aus Zeitschriften aus und schickte sie weg – lauter einmalige Angebote –, aber »Frinstell« sagte ihr nichts. Es dauerte einen Moment, die Schere blinkte matt im Zwielicht der Küche, dann hatte sie das Klebeband an der Kante aufgeschlitzt und wühlte sich durch das Packpapier im Innern. Und da – ach ja, natürlich – das war ja die Original-Heim-Wetterstation, die sie bestellt hatte, geprüft

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