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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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daß sie weg war, und er zog die Schultern hoch und ging über den Parkplatz. Er stapfte vorsichtig durch das glitschige grüne Durcheinander aus Laub und angewehtem Gerümpel, und bis er zu seinem Wagen kam, war er völlig durchnäßt. Ein einzelner abgebrochener Ast lag über der Windschutzscheibe, hatte aber keinen Schaden angerichtet; er warf ihn zu Boden und setzte sich hinters Steuer.
    Sein Verstand arbeitete nicht allzugut – vielleicht war es der Schock des Sturms oder die Nachwirkung des Whiskeys und seines Schläfchens auf dem Klappstuhl. Die Schlüssel. Zweimal durchwühlte er Hose und Jacke, ehe er sie endlich fand, dann versuchte er den Motor anzulassen, und er mußte lange mit dem Fuß auf dem Gas bleiben, während der Starter heulte und der Regen über die Scheibe strömte. Endlich sprang der Wagen an, und er legte krachend den Gang ein; erst jetzt bemerkte er, daß die Ausfahrt von einem Baum versperrt war. Und was nun? Muriels Phantom stieg vor ihm auf, bleich und zitternd, und dann blickte er auf und sah den Postamtsleiter und Bob, die auf der Treppe standen und ihn anglotzten, als stammte er von einem anderen Stern. Ach, was soll, dachte er, winkte ihnen beschwingt zu, ließ den Motor aufheulen und rumpelte quer über den Bürgersteig auf die Straße.
    Hier nun war die Welt wahrhaftig eine andere geworden. Es war, als hätte eine riesige Hand durch die Straße gewischt und dabei Bäume und Telefonmasten umgeworfen, Fenster eingedrückt, Dachschindeln abgetragen. Die Straße zur Autobahn war völlig unpassierbar, überschwemmt von gurgelndem kackbraunem Wasser, in dem eines dieser kleinen japanischen Autos mit dem Fahrgestell nach oben trieb. Willis probierte es mit der Meridian Street, dann mit der Seaboard, aber beide waren blockiert. Bei dem Haus, in dem Joe Diggs gewohnt hatte, bevor er gestorben war, hatte eine mindestens fünfhundert Jahre alte Eiche die Veranda abgerissen, und davor peitschten Elektrodrähte von einem gesplitterten Leitungsmast. Obwohl der Regen auf das Autodach trommelte, hörte Willis die Sirenen, ihren beständigen, langgezogenen Klagelaut.
    Er war jetzt in großer Sorge – das war genauso schlimm wie in Corpus Christi damals, nein, schlimmer –, und seine Hände zitterten auf dem Lenkrad, als er die Straße erreichte, in der er wohnte, und sie von Schutt und umgestürzten Bäumen versperrt fand. Das Haus an der Ecke – das von den Needlemans – war unversehrt, aber gegenüber, auf seiner Straßenseite, hatte das von den Stovers kein Dach mehr. Und die Straße selbst, die friedliche, baumbestandene Straße, in die sich Muriel damals sofort verliebt hatte, war nicht wiederzuerkennen, die Doppelreihe aus Ahornbäumen lag platt auf dem Boden wie Spielkarten. Willis setzte zurück, das Wasser stand bis zu den Radkappen, bog links in die Susan Street ein, dann wieder links in die Massapequa, um so einmal um den Block zu fahren und vom anderen Ende her zu seinem Haus zu gelangen.
    Er hatte Glück. In keiner der beiden Straßen war allzuviel verwüstet worden, und an der Ecke Massapequa konnte er sich einen Weg um einen umgestürzten Telefonmast bahnen, indem er über den Bordstein fuhr, so wie er es beim Postamt getan hatte. Und dann bog er in seine, in die Laurel Street ein, durch Schutt und Dreck, machte einen weiten Bogen um den verstopften Gully an der Ecke. Die Menschen standen in ihren Vorgärten und begutachteten die Schäden – er sah, wie Mrs. Tilden oder Tillotson, oder wie immer sie hieß, eine Zypresse aufzurichten versuchte, die sich an ihre Veranda klammerte wie ein nasser Schnurrbart. Es wirkte fast komisch, die kleine Frau und dieser große, schlaffe Baum, und er entspannte sich etwas – alles würde in Ordnung kommen, an diesem Ende der Straße war kaum etwas passiert, und da stand dieser dicke Kerl – wie hieß er gleich? – und tanzte händeringend um den Kadaver seines zertrümmerten Cadillac. »Ja«, sagte er laut vor sich hin, »alles wird in Ordnung kommen«, und er wiederholte es immer wieder, machte ein kleines Gebet daraus.
    Inzwischen hatte er mehr Angst vor Muriel als vor dem Sturm – er konnte sie schon hören: Wie konnte er sie mitten in einem Hurrikan allein lassen? Wo war er gewesen? Hatte er etwa eine Schnapsfahne? Die Schäden ließen sich beheben – schließlich war er vom Bau. Es war nur eine Frage von Materialien, sonst nichts – Ziegel, Bauholz, Gipskartonplatten, Schindeln. Und Glas. Die Glaser bekamen jetzt viel zu tun, soviel

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