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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Bald plappert sie fröhlich dahin, über Officer Rudman und Officer Torres, der auch manchmal beim Drogenprogramm mithilft, und erzählt ihm, wie nett sie die zwei findet und wie verdorben die Welt ist. »Wir haben hier Banden«, sagt sie. »Hast du das gewußt? Bei uns in der Gegend.«
    Er schaut hinaus auf Einfamilienhäuser, die eine halbe Million wert sind. Stein und Verputz, Briefkasten im Vorgarten, Basketballring über der Garagentür. Die Straßen sind menschenleer. Er sieht keine Banden. »Hier?«
    »Allerdings. Chrissie Mueller hat neulich im Supermarkt zwei Typen mit Raiders-Mützen gesehen...«
    »Vielleicht wollten die bloß ein paar Schokoriegel kaufen – oder vielleicht wollten sie nur ein Stück Kuchen.«
    »Hör doch auf, Dad«, sagt sie, aber an ihrem Tonfall merkt er, daß alles verziehen ist.
    Das Haus ihrer Mutter ist hell erleuchtet wie eine Zirkusmanege: Verandalicht, Sicherheits-Außenlampen, und auch die Fenster reißen blendendhelle Löcher in das dunkle Tuch der Nacht. Er beugt sich hinüber, um seiner Tochter einen Gutenachtkuß zu geben; der Wagen vibriert.
    »Dad?«
    »Ja?«
    »Ich wollte dich, äh, bloß mal fragen, also: Hast du je Drogen genommen? Oder Mom?«
    Die Frage überrumpelt ihn. Er blickt an ihr vorbei, sieht einen Augenblick lang auf das hellerleuchtete Haus, die weit aufgezogenen Gardinen, die Lichtflecken auf der Rasenfläche. Katharsis, Epoptai, die Eleusinischen Mysterien, eine Gerade ist die kürzeste Distanz zwischen zwei Punkten.
    »Nein«, sagt er schließlich. »Nein.«

Fleischeslust
    Über Fleisch hatte ich mir nie viel Gedanken gemacht. Es war einfach da, im Supermarkt, in der Plastikfolie; es steckte zwischen Sandwichscheiben mit Mayo und Senf und Gewürzgurken; es rauchte und spritzte auf dem Grill, bis jemand es umdrehte, und dann lag es auf dem Teller, zwischen der Kartoffel in Alufolie und den Karottenstreifen, sauber eingeschnitten und in einer Pfütze aus rotem Saft. Rind, Lamm, Schwein, Wild, triefende Hamburger und saftige Rippchen – es war mir alles einerlei, es war eben Essen, der Brennstoff des Körpers, etwas, das man kurz mit der Zunge kostete, ehe das Verdauungssystem sich darüber hermachte. Was nicht heißen soll, daß mir die damit einhergehenden Implikationen völlig unklar gewesen wären. Hin und wieder kochte ich mir selbst etwas, ein halbes Huhn mit Instantsauce und dazu Tiefkühlerbsen, und wenn ich dann auf die pockige gelbe Haut und das rosa Fleisch so eines keimfreien Vogels einhackte, bemerkte ich durchaus die dunklen Organfetzen, die da an den Rippen baumelten –was war das, Leber? Niere? –, aber letzten Endes verleidete mir das keineswegs den Appetit auf Kentucky-Fried-Imbisse oder Chicken McNuggets. Sicher, auch ich sah die Anzeigen in den Zeitschriften, die Fotos von in ihrem eigenen Dreck angeketteten Kälbern, mit atrophierten Gliedmaßen und so vollgepumpt mit Antibiotika, daß sie ihren Darm nicht mehr unter Kontrolle hatten, aber wenn ich mit einer neuen Freundin ins Anna Maria ging, konnte ich den Kalbsmedaillons trotzdem nicht widerstehen.
    Und dann lernte ich Alena Jorgensen kennen.
    Es war letzten November, zwei Wochen vor Thanksgiving – ich erinnere mich an das Datum, weil es mein Geburtstag war, mein dreißigster; ich hatte mich krank gemeldet und war an den Strand gegangen, um mir die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen, ein Buch zu lesen und mich ein wenig zu bemitleiden. Es wehte ein heißer Santa-Ana-Wind, und die Sicht reichte bis nach Santa Catalina Island, aber man spürte etwas in der Luft, den Geruch des Winters, der schon über Utah hing, und so weit ich in beiden Richtungen sehen konnte, hatte ich den Strand so ziemlich für mich. Ich suchte mir einen geschützten Platz zwischen Felsen, breitete eine Decke aus und machte es mir bequem, um erst einmal das Pastrami-Sandwich zu verputzen, das ich als Verpflegung mitgebracht hatte. Dann wandte ich mich meinem Buch zu – ein tröstlich apokalyptisches Traktat über den Untergang unseres Planeten – und ließ mich von der Sonne wärmen, während ich über den Kahlschlag der Regenwälder, die vergiftete Atmosphäre und die rasche, lautlose Ausrottung der Arten las. Über mir zogen die Möwen dahin. In der Ferne sah ich Düsenflugzeuge blinken.
    Ich muß wohl eingedöst sein, hatte den Kopf nach hinten gelegt, das Buch aufgeschlagen im Schoß, denn als nächstes erinnere ich mich daran, daß ein fremder Hund über mir stand und die Sonne hinter den Felsen

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