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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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schwebend, wie ein Fussel, der im Wind trieb. »Hören Sie«, sagte ich und konnte ihr dabei gar nicht in die Augen sehen, »ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten...«
    »Ich wohne zehn Minuten von hier am Strand, und ich hab Waschmaschine und Trockner. Kommen Sie, das macht keine Umstände. Oder haben Sie etwas vor? Ich meine, ich zahle Ihnen auch die Reinigung, wenn Sie wollen...«
    Ich war damals gerade solo – die Frau, mit der ich das letzte Jahr hindurch öfter zusammengewesen war, rief mich nicht einmal mehr zurück –, und meine Vorhaben für diesen Tag bestanden darin, allein am späten Nachmittag ins Kino zu gehen, als Geburtstagsgeschenk, und danach meine Mutter zu besuchen, bei der es Abendessen und einen Kuchen mit Kerzen geben würde. Meine Tante Irene wäre dort und meine Großmutter auch. Sie würden aufjuchzen, wie groß ich doch geworden war und wie gut ich aussah, und dann würden sie mein jetziges Ich mit meinen früheren, kindlicheren Inkarnationen vergleichen, um sich schließlich in eine Flut von Reminiszenzen hineinzusteigern, die mit unverminderter Heftigkeit anhalten würden, bis meine Mutter die beiden nach Hause fuhr. Danach würde ich vielleicht noch in eine Single-Bar gehen, wo ich, wenn ich Glück hatte, die Bekanntschaft einer geschiedenen Programmiererin von Mitte Dreißig mit Mundgeruch und drei Kindern machte.
    Ich zuckte die Achseln. »Ob ich was vorhabe? Nein, eigentlich nicht. Ich meine, nichts Besonderes.«
    Alena hütete das Haus nur, einen Einzimmer-Bungalow, der wie ein Baumstumpf aus dem Sand aufragte, keine zwanzig Meter von der Flutlinie entfernt. Ein paar Bäume standen in dem Gärtchen dahinter, das zwischen gläsernen Festungen mit zinnenbewehrten Flachdächern, flatternden Fahnen und massigen Betonpfeilern eingezwängt war. Wenn man im Haus auf dem Sofa saß, spürte man die dumpfe Vibration jeder einzelnen brechenden Welle am Strand – ein stetiger Puls, mit dem mir dieses Haus für immer verbunden bleiben sollte. Alena gab mir ein verblichenes Uni-Sweatshirt, das beinahe paßte, sprühte Fleckenentferner auf T-Shirt und Anorak und schloß dann in einer einzigen gleitenden Bewegung die Klappe der Waschmaschine und holte zwei Bier aus dem Kühlschrank daneben.
    Einen Moment lang herrschte verlegenes Schweigen, als sie es sich in dem Sesssel mir gegenüber behaglich machte und wir uns auf unsere Biere konzentrierten. Mir fehlte der Gesprächsstoff. Ich war verwirrt, mir schwindelte, und ich hatte immer noch Mühe zu verstehen, was geschehen war. Vor einer Viertelstunde hatte ich am Strand gedöst, allein an meinem Geburtstag und voller Selbstmitleid, und nun saß ich bequem in einem gemütlichen Häuschen am Meer, in Gegenwart von Alena Jorgensen und ihren endlosen nackten Beinen, und trank ein Bier. »Also, was machst du so?« fragte sie und stellte ihre Flasche auf dem Tisch ab.
    Ich war dankbar für die Frage, womöglich zu dankbar. Ausführlich beschrieb ich ihr, wie langweilig meine Arbeit war, fast zehn Jahre war ich schon bei derselben Agentur, wo ich Werbetexte schrieb und mein Hirn vor lauter Nichtgebrauch immer abgestumpfter wurde. Ich war mitten in einem detaillierten Bericht unserer derzeitigen Kampagne für einen ghanaischen Wodka, der aus den Schalen des Kalebassenkürbisses hergestellt wurde, als sie einwarf: »Ich versteh, was du meinst«, und mir dann erzählte, sie selbst habe das Veterinärmedizinstudium hingeworfen. »Nachdem ich gesehen habe, was sie mit den Tieren machen. Ich meine, kannst du dir vorstellen, daß man Hunde sterilisiert, nur weil es bequemer so ist, nur weil es einfacher für uns ist, wenn sie kein Sexualleben haben?« Sie ereiferte sich. »Es ist immer dieselbe Geschichte: Artenfaschismus hoch zehn.«
    Alf lag leise schnaufend zu meinen Füßen und blickte schwermütig aus seinem starren blauen Auge auf; eine unschuldigere Kreatur hatte ich noch nie gesehen. Ich machte ein mattes Geräusch der Zustimmung und brachte das Thema auf Alf. »Und dein Hund?« fragte ich. »Hat er Arthritis? Oder Hüftdysplasie oder so was?« Ich war stolz auf diese Frage – »Hüftdysplasie« war, abgesehen von »Bandwurm«, der einzige veterinärmedizinische Terminus, den ich in der Gedächtnisdatenbank ausgraben konnte, und es war klar, daß Alf größere Probleme als Würmer hatte.
    Alena fuhr plötzlich zornig auf. »Wenn’s nur so wäre«, sagte sie. Verbittert holte sie tief Luft. »Alles, worunter Alf leidet, wurde ihm zugefügt. Sie

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