Fleischeslust - Erzaehlungen
haben ihn gefoltert, verstümmelt, verkrüppelt.«
»Gefoltert?« echote ich und fühlte die Empörung in mir aufwallen – so eine schöne Frau, so ein unschuldiges Tier. »Wer?«
Alena beugte sich vor, und ihre Augen funkelten vor Haß. Sie nannte mir eine bekannte Schuhfirma – spie den Namen geradezu aus. Es war ein banaler, vertrauter Name, und nun hing er in der Luft zwischen uns, unvermittelt unheilvoll. Alf hatte an einem Experiment teilgenommen, bei dem die Vermarktungschancen von Stiefeletten für Hunde getestet worden waren – Wildleder, Sämischleder, Lackleder, das volle Programm. Die Hunde mußten dabei in den Stiefeletten auf einem Laufband marschieren, um die Verschleißdauer zu überprüfen; Alf hatte zur Kontrollgruppe gehört.
»Kontrollgruppe?« Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten.
»Sie haben die Laufbänder mit Achtziger-Sandpapier beschichtet, um die Sache zu beschleunigen.« Alena sah kurz zum Fenster hinaus, wo die Brandung auf den Strand einhämmerte; sie biß sich auf die Lippe. »Alf war einer von den Hunden ohne Schuhe.«
Ich war wie gelähmt. Ich wollte aufstehen und sie trösten, aber ebensogut hätte ich auf den Sessel aufgepfropft sein können. »Ich fasse es nicht«, sagte ich. »Wie kann denn nur irgendwer...«
»Glaub’s mir«, sagte sie. Sie fixierte mich einen Augenblick, dann stellte sie ihr Bier weg und ging durch das Zimmer, um in einem Pappkarton in der Ecke zu wühlen. Mochte ich auch sehr berührt sein durch die Emotionen, die sie wachgerufen hatte, noch stärker berührte mich der Anblick, wie sie sich in ihrem Gore-Tex-Bikini über den Karton beugte; ich klammerte mich an die Sessellehne, als wäre es eine Achterbahn in voller Sturzfahrt. Gleich darauf knallte sie mir ein Dutzend Aktenordner in den Schoß. Auf dem obersten stand der Name der Schuhfirma, und er war vollgestopft mit Zeitungsausschnitten, einer seitenlangen Aufzeichnung von Arbeitsabläufen und Schichtplänen der Fabrik in Grand Rapids sowie einem Grundriß des Laboratoriums. Die Ordner darunter waren mit den Namen von Kosmetikfirmen, Kürschner- und Lederbetrieben, biomedizinischen Forschungszentren und Fleischgroßhändlern beschriftet. Alena saß auf dem Rand des Beistelltischchens und sah mir zu, wie ich darin blätterte.
»Kennst du den Draize-Test?«
Ich sah sie fragend an.
»Sie injizieren Chemikalien in die Augen von Kaninchen, um zu prüfen, welche Menge nötig ist, damit sie blind werden. Die Kaninchen sind in Käfigen, Tausende von ihnen, und die nehmen eine Nadel und rammen sie ihnen in die Augen – und weißt du auch, warum? Weißt du, im Namen welches großen humanitären Anliegens so etwas geschieht, auch jetzt, während wir hier sitzen?«
Ich wußte es nicht. Das Meer pulsierte unter meinen Füßen. Ich sah zu Alf und dann wieder in ihre wütenden Augen.
»Für Mascara. Nur für Mascara. Sie foltern Abertausende Kaninchen, damit Frauen wie Nutten aussehen können.«
Ich empfand diese Interpretation als etwas hart, doch als ich ihre blassen Wimpern und den schmalen, ungeschminkten Mund betrachtete, sah ich, daß sie es ernst meinte. Auf jeden Fall brachte sie der Gedanke in Fahrt, und sie legte los mit einem zweistündigen Vortrag, bei dem sie mit ihren makellosen Händen gestikulierte, Zahlen zitierte, in ihren Unterlagen nach einzelnen Fotos von Ratten ohne Beine oder von morphiumsüchtigen Wüstenspringmäusen wühlte. Sie erzählte mir, wie sie Alf gerettet hatte: bei einem Überfall auf ein Labor, gemeinsam mit sechs weiteren Mitgliedern der Animal Liberation Front, der militanten Tierbefreiungsgruppe, nach der Alf benannt worden war. Anfangs hatte sie sich damit begnügt, Petitionen zu verschicken und Transparente zu schwenken, doch inzwischen, da das Leben so vieler Tiere bedroht war, hatte sie sich konkreten Taten verschrieben: Störaktionen, Vandalismus, Sabotage. Sie schilderte mir ihre Einsätze: mit der Gruppe »Earth First!« hatte sie in einem Holzfällergebiet in Oregon Bäume mit Stahlnägeln gespickt, in Nevada viele Kilometer Stacheldrahtzaun um Rinderfarmen durchgeknipst, die Akten von biomedizinischen Forschungslabors entlang der ganzen Westküste zerstört, und in den Bergen von Arizona hatte sie sich zwischen die Jäger und die Dickhornschafe gestellt. Ich konnte nur nicken und staunen, betrübt lächeln und leise pfeifen, wie um »Alle Achtung« zu sagen. Schließlich hielt sie inne, um den Blick ihrer beunruhigenden Augen auf mich zu
Weitere Kostenlose Bücher