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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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verschwunden war. Es war ein großer, wuschliger Hund, der mich aus einem blauen Auge starr fixierte, die Ohren leicht gespitzt, als erwartete er ein Plätzchen oder so etwas. Ich war durcheinander – nicht daß ich Hunde nicht mochte, aber da war dieses haarige Ding, das mir die Schnauze ins Gesicht stupste –, und ich muß wohl eine Art Abwehrgeste gemacht haben, denn der Hund tappte einen Schritt zurück und erstarrte. Selbst in der Verwirrung des Augenblicks merkte ich, daß irgend etwas mit diesem Hund nicht stimmte, da war eine Unsicherheit, ein Wanken, eine Schwäche der Beine. Ich empfand eine Mischung aus Mitleid und Abscheu – war er von einem Auto angefahren worden? –, als mir plötzlich die Nässe auf meinem Anorak bewußt wurde und mir ein unverwechselbarer Geruch in die Nase stieg: ich war soeben angepinkelt worden.
    Angepinkelt. Während ich so nichtsahnend dalag, die Sonne, den Strand und die Einsamkeit genießend, hob dieses dumme Vieh das Bein und benutzte mich als Pissoir – und jetzt stand es erwartungsvoll am Rand meiner Decke, als hätte es gern eine Belohnung. Plötzlich wallte Wut in mir auf. Fluchend setzte ich mich auf, und erst jetzt schien in das andere Auge des Hundes, das braun war, ein vages Begreifen zu sickern; das Tier taumelte und fiel vornüber, direkt neben mir. Dann rappelte es sich hoch, fiel erneut um und schleppte sich auf diese Weise im Sand davon, wie ein Seehund im Trockenen. Ich war jetzt auf den Beinen, voller Mordgier, und sah mit Freuden, daß das Vieh hinkte – so konnte ich es leichter einholen und totschlagen.
    »Alf!« rief eine Stimme, und während der Hund vor mir im Sand zappelte, drehte ich mich um und sah, auf dem Felsen hinter mir, Alena Jorgensen. Ich will den Augenblick jetzt nicht allzusehr aufbauschen, will ihn weder mythologisieren noch die Szenerie mit Anspielungen an die Schaumgeburt der Aphrodite oder die Überreichung des goldenen Apfels durch Paris überladen, aber sie war ein mächtig beeindruckender Anblick. Nackte Beine, ebenmäßig gebaut, groß und aufrecht wie ihre skandinavischen Vorfahren, bekleidet mit einem Gore-Tex-Bikini und einem Kapuzen-Sweatshirt, dessen Reißverschluß bis zur Hüfte offenstand... auf jeden Fall haute sie mich glatt um. Vor Pisse triefend und völlig benommen starrte ich sie wortlos an.
    »Du schlimmer Junge«, sagte sie tadelnd, »los, geh weg da.« Sie sah zwischen dem Hund und mir hin und her. »O du schlimmer Junge, was hast du da bloß gemacht?« schimpfte sie, und ich hätte jede Schandtat zugegeben, aber ihre Schelte galt dem Hund, welcher daraufhin in den Sand stürzte, als hätte ihn eine Kugel getroffen. Alena hüpfte lässig von dem Felsen herunter, und im nächsten Moment, bevor ich noch protestieren konnte, rieb sie mit dem Saum ihres Sweatshirts an dem Fleck auf meinem Anorak herum.
    Ich versuchte sie zu bremsen – »Schon gut«, sagte ich, »macht doch nichts«, als pinkelten pausenlos Hunde auf meine Garderobe –, aber sie wollte nichts davon hören.
    »Nein«, sagte sie, rieb weiter, und ihr Haar wehte mir ins Gesicht, die nackte Haut ihres Oberschenkels preßte sich unbewußt gegen mein Bein, »nein, das ist schrecklich, es ist mir so peinlich – Alf, du schlimmer Junge! –, ich komme selbstverständlich für die Reinigungskosten auf, das ist doch das mindeste – nun sehen Sie sich das an, es geht durch bis auf Ihr T-Shirt...«
    Ich konnte sie riechen, den Fönschaum in ihrem Haar, eine Seife oder ein Parfum mit Fliederduft, das salzig-süße Aroma ihres Schweißes – sie war joggen gewesen, deshalb. Ich murmelte irgend etwas davon, daß ich die Sachen selbst zur Reinigung bringen wollte.
    Sie hörte mit dem Reiben auf und erhob sich. Sie hatte meine Größe, war vielleicht sogar ein kleines Stück größer, und ihre Augen waren etwas verschiedenfarbig, so wie die des Hundes: ein ernstes Tiefblau in der rechten Iris, eine meergrüne türkise Schattierung in der linken. Wir waren uns so nahe, als würden wir miteinander tanzen. »Ich sag Ihnen was«, meinte sie, und ein Lächeln hellte ihr Gesicht auf, »da Sie bei der ganzen Sache so nett reagieren, und das würden wohl die wenigsten, auch wenn sie wüßten, was der arme Alf alles durchgemacht hat, warum lassen Sie mich den Anorak nicht für Sie waschen – und das T-Shirt auch?«
    Ich war momentan etwas aus der Fassung – immerhin war ich gerade angepißt worden –, doch mein Ärger war verflogen. Ich fühlte mich schwerelos,

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