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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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überall am ganzen Körper hatten sie seltsame Wucherungen – Gipsverbände.
    Ray Arthur Larry-Pete hinkte quer durch den langen Raum zu ihnen, setzte behutsam das Tablett ab und stützte sich mit beiden Händen auf, als er seinen übel zugerichteten Hintern auf die gnadenlos harte Holzbank niedersinken ließ. Immer noch unter Einsatz der Hände, hob er erst das eine, dann das andere völlig taube Bein über die Bank und unter dem Tisch. Er stöhnte, ächzte, fluchte, furzte. Dann nickte er seinen Mitspielern zu, richtete das Rückgrat mühsam weit genug auf, um schlucken zu können, und widmete sich seinem Essen.
    Nach einer Weile ergriff DuBoy das Wort. Wo sein Kopf in die Schulterpartie überging, trug er eine Halskrause, die ihm das schwabbelige Fleisch im Gesicht nach oben quetschte, so daß er aussah wie ein riesiges Nagetier. »Wie geht’s so?«
    Über Schmerz sprach man nicht. Man stand ihn durch – so lautete die Regel. Trainer Tundra war in Vietnam gewesen, an einem Ort, dessen unaussprechlichen Namen Ray Arthur Larry-Pete nie behalten konnte, und er duldete keine Wasch- und Jammerlappen. Schmerzen? krähte er ungläubig, sobald ein Spieler auch nur andeutete, er könnte vielleicht nicht mehr weiterspielen. Das erzähl mal den Jungs von der 101. Fallschirmjägerdivision, die damals im Tal von Ia Drang im Granatfeuer gelegen haben, oder den Rekruten im Feld, die erst zusehen mußten, wie ihre Kumpel abgeknallt wurden, und dann, aus beiden Ohren blutend und ein Bein am Knie abgerissen, zehn Kilometer durch einen Sumpf gerobbt sind, in dem sogar die Schlangen verreckt sind. Also hoch mit dir, Soldat! Auf in den Kampf! Und wenn das nicht wirkte, rollte er das Hosenbein hoch und zeigte seine Prothese herum.
    Ray Arthur Larry-Pete sah zu DuBoy auf. »Werd’s überleben. Und du?«
    DuBoy versuchte ein Achselzucken, wie um zu sagen, es sei nicht so schlimm, aber selbst die kleinste Bewegung der Schultern ließ ihn zusammenzucken und mit der Hand gegen die Halskrause schlagen, als hätte ihn eine Hornisse gestochen. »Nicht... so wild«, krächzte er schließlich.
    Danach war nichts mehr zu hören bis auf die onomatopoetischen Laute des Ernährungsvorgangs – Essen wurde aufgenommen und von den Kiefern gepackt, Kehlen schlossen sich hinter einer Ladung und erwarteten die nächste – und das leise, brabbelnde Mensageplauder der übrigen Studenten, jener Glücklichen, die nicht von Gipsarmen, Stichen in der Leistengegend und blutigen Kloschüsseln geplagt wurden. Ray Arthur Larry-Pete war deprimiert. Wegen der Niederlage, sicher – aber es saß tiefer. Er machte sich Sorgen um seine Collegekarriere, die Arbeitsaussichten, das Leben nach dem Football. Vor ihm lagen ein Winter, ein Frühling und ein Sommer, in denen er zum erstenmal, seit er sich erinnern konnte, nicht mit dem Training für die nächste Saison beschäftigt wäre, und er konnte sich nicht vorstellen, wie das sein würde. Kein Umkleideraum, kein Schweiß, keine Schutzpolster, keine stinkenden Abflüsse in den Duschen, keine nach Menthol stinkenden Sportsalben, kein Jucken im Schritt und kein Muskelkater mehr, keine Trainingsbesprechung, kein Trainer – und keine Chance, und sei sie noch so klein, auf Ruhm...
    Dringender war die Sorge um sein Studium. Da war die Prüfung in Sportkommunikation, auf die er sich nicht vorbereitet hatte, der Zwischentest in Sporterziehung, den der Dozent garantiert total unvorbereitet ansetzen würde, und die beiden kurzen Aufsätze in Sporttheorie und in Sportphysik, die er immer noch nicht angefangen hatte, und allmählich wurde er auch wegen Suzie leicht paranoid. Sie war ohne Zweifel eine der begehrenswertesten Frauen auf dem Campus, die all ihre Vorteile in der Auslage trug, und was hatte er ihr zu bieten, wenn nicht den Glorienschein des Football? Weshalb hatte sie die Verabredung abgesagt? Hieß das, ihre Verlobung war aufgelöst, wollte sie nur einen Sieger, war dies der Anfang vom Ende?
    Er war so in Gedanken versunken, daß er gar nicht verstand, was Moss redete, als der seine Bombe in der Stille am Tisch platzen ließ. Moss trug eine Kniestütze und den linken Arm in einer Schlinge. Mit der Rechten nahm er abwechselnd einen Bissen von seinem eigenen Teller und schaufelte von Kitwanys Teller eine gewaltige Gabel voll in Kitwanys offenen Mund. Kitwany steckte in einem Schulterverband und hielt beide Arme starr vor sich ausgestreckt, wie die Gipsbüste eines Schlafwandlers. Ray Arthur Larry-Pete sah zwar, wie

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