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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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es war immer noch zugeschwollen, und er konnte nicht für die Sportkommunikationsprüfung lernen.
    Es war Sonntag, der Tag nach dem Spiel, und Ray Arthur Larry-Pete Fontinot, rechter Verteidiger der Caledonia College Shuckers, schlief bis zwei Uhr, eingehüllt in sein eigenes privates Leid – und auch dann kam er nicht aus dem Bett. Alle Fasern seines Körpers, die ganzen hunderteinundzwanzig Kilo seiner ein Meter dreiundneunzig brüllten vor Schmerz. Er war zweiundzwanzig, im letzten Collegejahr, das ganze Leben lag vor ihm, und er fühlte sich reif fürs Pflegeheim. In seinen Ohren war ein Dröhnen, die Wimpern klebten zusammen, in seiner Lendenwirbelsäule pulsierte der Schmerz, und beide Knie fühlten sich an, als hätte jemand Eispickel hineingetrieben. Plattfüßig und nackt humpelte er ins Klo am Ende des Ganges, und als er wieder herauskam, war Blut in der Toilettenschüssel.
    Er war ein behäbiges, fettes, pummliges Kind gewesen, ständig verfolgt und gepeinigt von leichtfüßigen Mitschülern, bis er auf dem Footballfeld seine Nische fand, wo er, hartnäckig und unbeirrbar, aus seiner massigen Statur Vorteil schlagen konnte – jedenfalls hatte er das geglaubt. Er hatte Proteindrinks gekippt, Hanteln gestemmt, auf der Aschenbahn Kreise gezogen wie ein geriatrischer Büffel, und was half ihm das? Nach seinen vier Jahren bei der Collegemannschaft belief sich die Bilanz für Caledonia auf 0:43, und dabei waren sie einem Unentschieden niemals näher als zwei Touchdowns gekommen – und die dreiundvierzigste Niederlage war die schlimmste gewesen. 56:0. Er hatte den Footballhelm aufgesetzt, um sich gut zu fühlen, um Stolz und Sicherheit zu gewinnen und den süßen Nektar des Ruhms zu kosten, aber irgendwie fühlte er sich gar nicht mehr so ruhmreich, wie er jetzt flach auf dem Rücken dalag und aus zugekniffenen Augen die Grundlagen der Sportkommunikation von Puckett und Poplar zu lesen versuchte, bis die Zeilen vor ihm verschwammen wie die ewigen Kreuze und Kreise in den Spieltaktik-Diagrammen des Trainers. Er döste ein. Erwachte wieder, als die Abenddämmerung das Zimmer allmählich erfaßte. Und als es Nacht war, fühlte er sich kräftig genug, um aufzustehen und zu kotzen.
    Am nächsten Morgen, volle vierzig Stunden nach dem Spiel, fühlte er sich sogar noch mieser, falls das möglich war. Er setzte sich auf, angefeuert vom ersten vehementen Rumoren seines Bauchs, und zuckte zusammen, als er sich die Socken über die blaufleckigen, schmerzenden Waden zog. Sein rechtes Knie streikte beim Einsteigen in die schnürsenkellosen Basketball-Stiefel (es war mindestens drei Jahre her, daß er sich noch so weit hatte bücken können, um seine Schuhe zuzubinden), etwas in seiner rechten Schulter schrie auf, als er sich das Caledonia-Sweatshirt überzog, und dann war er plötzlich auf den Beinen. Er stolperte durch den Korridor wie einer aus der Nacht der lebenden Leichen , nahm hier und da ein vertrautes Gesicht wahr, das jedoch sofort verschwamm, und er mied die dazugehörigen Blicke. Jemand spielte Killer Pussy auf Erdbeben-Lautstärke, und jemand anders – irgendein bescheuerter Trottel, den er gerne umgelegt hätte, wenn nur diese Rückenschmerzen nicht gewesen wären – hatte ein Skateboard vor der Tür stehenlassen, das Ray Arthur Larry-Pete um ein Haar zertreten hätte, worauf er voll in die Betonmauer gerasselt wäre, aber seine Reflexe, wenn auch sonst nichts, funktionierten wenigstens noch. Als er über den Hof in die Mensa ging, den frischen, kalten Wind im Gesicht, registrierte er geistesabwesend, daß sich sein Humpeln zu einem leichten Hinken verbessert hatte.
    Suzie war in der Cafeteria nirgends zu sehen, und er erinnerte sich vage, daß sie am Vorabend angerufen hatte, um ihre Verabredung zum Lernen abzusagen, aber während er sein Tablett mit angetrockneten Speckstreifen, schleimigen Eiern und Waffeln belud, die aussahen, sich anfühlten und schmeckten wie Dachpappe, sah er Kitwany, Moss und DuBoy an einem Tisch ganz hinten mürrisch über ihren Tellern sitzen. Sie waren nicht zu übersehen. Nach dem gleichen maßlosen Muster geschnitzt wie er, ragten seine Mannschaftskameraden aus der allgemeinen Masse der Studenten heraus wie Vertreter einer fremden Spezies. Ihre Köpfe wirkten wie preisgekrönte Kürbisse, die auf den Plattformen der halslosen Schultern thronten, ihre Finger hatten einen Durchmesser wie bei anderen Leuten die Unterarme, die Kinnpartien waren völlig eigenständige Gebilde, und

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