Fleischessünde (German Edition)
Erfüllung der Prophezeiung Sutekhs Blut gebraucht wird, bietet es sich geradezuan, es von einem seiner Söhne zu nehmen. Das ist die reinste Quelle – abgesehen von Sutekh selbst.“
„Und warum hat es ausgerechnet Lokan getroffen und nicht …?“ Calliope verstummte abrupt. Nein, das wollte sie nicht sagen: … warum nicht dich ?
„Im Gegensatz zu uns anderen war Lokan angreifbar. Er hatte eine Achillesferse, die ihn verwundbar machte. Das haben sie ausgenutzt, um ihn dazu zu bringen, dass er getan hat, was sie wollten. Meine Güte, dass es so weit kommen musste. Eigentlich hätte es sie gar nicht geben dürfen.“
„Sie?“ Sie sah ihn ratlos an. „Von wem sprichst du?“
Malthus starrte eine Weile vor sich hin, und es sah so aus, als wollte er gar nichts mehr sagen. Ihm war anzusehen, dass er einen inneren Kampf ausfocht. Schließlich gab er sich einen Ruck und sagte: „Seelensammler können keine Kinder zeugen, nicht einmal Sutekhs Söhne. Und trotzdem hat Lokan es irgendwie fertiggebracht. Mit anderen Worten: Lokan hat eine Tochter, meine Nichte.“
Calliope dachte nach. Allmählich ging ihr ein Licht auf. Es passte alles zusammen. Das Mädchen, das Roxy aus den Fängen von Frank Marin befreit und dann in Sicherheit gebracht hatte. Roxy war so besorgt um die Kleine gewesen, dass niemand, aber auch wirklich niemand erfuhr, wo sie sie hingebracht hatte. Tatsächlich war das Mädchen wie vom Erdboden verschluckt.
„Dana Carr“, sagte Calliope noch halb in Gedanken.
„Dana Krayl“, korrigierte Malthus sie nachsichtig. Lokan hatte sich für seine Tochter geopfert. Aber das brauchte er Calliope nicht zu erklären. Er wusste, dass sie verstanden hatte.
Calliope war noch immer mit ihren Überlegungen beschäftigt. „Die Setnakhts waren auch in diese Kindesentführung verwickelt. Ob sie im Ernst glauben, dass Sutekh ihnen den Mord an seinem Sohn vergibt, wenn der zum Ziel hatte, Sutekh die Rückkehr auf die Erde zu ermöglichen?“
Malthus atmete einmal tief durch. „Ich bin mir sicher, dass sie das tun.“
„Und was ist nun mit Roxy und Naphré?“
„Wer auch immer letztlich dahintersteckt, braucht auch Isis’ Blut. Was sie zusammengetragen haben, dürfte zu wenig sein. Die Isistöchter, die sie bisher geopfert haben, hatten alle nur eine schwache Blutlinie. Und keine von ihnen hatte das erste Blut genommen. Nicht einmal Roxys Mutter, die noch die stärkste Blutlinie hatte.“
Calliope merkte, wie ihr übel wurde, je länger sie über all das nachdachte. „Das heißt dann wohl, dass der oder die Entführer Roxy töten wollen. Und Naphré genauso.“
„Das nehme ich an.“
„Und ich gehöre dann wohl auch dazu.“
Er sah sie ernst an. „Ja.“
Calliope hatte das Gefühl, am Rande einer schwindelerregend hohen Klippe zu stehen. Wenn sie jetzt weiterfragte und nachbohrte, würde sie ins Bodenlose fallen. Trotzdem konnte sie es nicht lassen. Sie musste Gewissheit haben.
„Man ist hinter uns her, weil wir vollwertige Isistöchter sind? Mit erstem Blut und allem?“
„Nicht nur das. Jede von euch hat Blut von Sutekhs Söhnen getrunken. Bei euch ist das Blut von Isis und Sutekh praktisch schon vermischt. Das hat es bisher noch nie gegeben.“
Calliope schwirrte der Kopf von all diesen Gräuelgeschichten. Dann kam ihr plötzlich eine Idee. „Wenn unser Blut imstande wäre, Sutekhs Rückkehr auf die Erde zu ermöglichen, könnte es dann auch Lokan zurückbringen?“ Malthus antwortete nicht gleich, deshalb fragte sie noch einmal: „Wäre das möglich?“
„Ich weiß es nicht.“
Sie hatte einen dicken Kloß im Hals, sodass sie kaum sprechen konnte. Zögernd und mit gepresster Stimme sprach sie es dann doch aus: „Wenn es darauf ankommt, Mal … Wenn meinLeben, mein Blut, Lokan zurückbringen könnte …“ Mehr sagte sie nicht.
Malthus tat so, als hätte er es überhört. „Wir müssen uns auf den Weg machen“, meinte er tonlos.
„Und wohin?“
„Zum großen Treffen.“
„Das ist in der Unterwelt.“
„So ist es.“
„Aber da kann ich doch nicht mitkommen!“
Er lächelte nur undurchdringlich. Sie merkte, wie angespannt er war. „Doch, du kannst. Mit freundlicher Genehmigung von Sutekh.“
Calliope spürte, wie sie blass wurde. Eine Reise in die Unterwelt war für gewöhnlich eine Reise ohne Wiederkehr, es sei denn, man hatte das freie Geleit eines mächtigen Gottes, wie es bei Naphré der Fall gewesen war, der Izanami die Rückkehr in die Oberwelt gestattet hatte.
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