Fleischessünde (German Edition)
doch niemals ihre Gefilde. Warum jetzt?
„Ich bin gekommen, dich zu holen, Roxy Tam.“
Als Calliope aus der Dusche trat, fühlte sie sich alles andere als frisch. Dadurch dass sie, um die Heilung ihrer Wunde zu beschleunigen, von Malthus’ Blut getrunken hatte, hatte sie wieder ihre wichtigste Fähigkeit eingebüßt. Ihre Vorahnungen waren weg, und ohne sie kam sie sich irgendwie nackt vor.
Sie kämmte sich das nasse Haar, zog es mit einem Elastikband straff nach hinten und begann, sich anzuziehen. Auch wenn ihre Vorahnungen eingeschränkt waren, sagte ihr der Instinkt, dass irgendetwas faul war. Für einen Moment schloss sie die Augen und lauschte angestrengt. Dann schlich sie leise ins Gästezimmer, das nach vorn heraus lag. Ohne etwas anzufassen, stellte sie sich so, dass sie durch den schmalen Spalt zwischen Fensterrahmen, Vorhang und Rollo hindurchspähen konnte. Gleichzeitig versuchte sie eine Schwingung aufzufangen, die auf die Anwesenheit übernatürlicher Kräfte deutete, konnte aber nichts feststellen.
Auch draußen rührte sich nichts. Trotzdem stellten sich ihr die Härchen auf dem Unterarm auf, sodass sie sich schon fragte, ob der Genuss von Malthus’ Blut auch noch andere Sinne bei ihr getrübt haben könnte. Andererseits war es gut möglich, dass die Auffrischung ihrer Kräfte wie gerufen kam. Denn wer oderwas immer sich da draußen herumtrieb, schien mächtig genug zu sein, seine Kräfte zu tarnen.
Calliope machte einen Rundgang durchs Obergeschoss und spähte auf dieselbe Weise durch alle Fenster, aber rund ums Haus war nichts Verdächtiges zu entdecken. Ohne Licht zu machen und wie auf Samtpfoten ging sie die Treppe hinunter und wich dabei der Stufe aus, von der sie wusste, dass sie knarrte.
Unten angekommen verharrte sie zunächst regungslos, aufmerksam auf jedes Geräusch und jede Bewegung achtend. Da war etwas. Und das war nicht draußen, sondern unmittelbar vor ihr. Instinktiv ging sie in Verteidigungsstellung und gleich darauf zum Angriff über, das Knie gegen den Unterleib, die Handkante dorthin, wo sie den Kehlkopf ihres vermeintlichen Angreifers vermutete. Während der Stoß des Knies ins Leere ging, spürte sie den Kontakt mit der Hand, aber nicht hart genug, um eine Wirkung zu erzielen.
Als Antwort kam ein unwilliges Knurren. „Werde ich es wohl noch einmal erleben, dass wir uns treffen, ohne dass du anfängst, dich mit mir zu prügeln?“
Calliope wich erstaunt zurück. Malthus stand vor ihr und rieb sich den Kehlkopf. „Was schleichst du auch hier herum?“, entgegnete sie.
„Aus Rücksicht auf dich. Ich wollte dich nicht wecken, falls du schläfst.“ Seine Stimme klang nach dem Schlag gepresst. Vielleicht kam es ihr auch nur so vor, und er war tatsächlich nur ein wenig beleidigt.
Aber sie glaubte nicht so recht daran. Mit einem misstrauischen Seitenblick meinte sie: „Aus Rücksicht? Ich glaube eher, du wolltest mich testen und herausfinden, wie einfach man bei mir einbrechen kann, wenn ich im Bett liege und schlafe.“
Er brummte nur etwas Unverständliches.
Calliope strich ihm über die Wange. Er drehte den Kopf und gab ihr einen Kuss auf die Handfläche, ohne den Blick aus seinen silbergrauen Augen von ihr zu wenden. Dabei merkteCalliope sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist los?“
„Ich habe etwas für dich“, sagte Malthus und hielt ihr, den Griff voran, ihr Schwert hin, das sie in Kuznetsovs Wohnung hatte zurücklassen müssen. Sie griff danach, und es war sofort wieder das vertraute Gefühl. Keine andere Waffe lag ihr so gut in der Hand. Das Schwert war eins mit ihr, es war wie eine direkte Verlängerung ihres Arms.
Erstaunt blickte Calliope auf und sah etwas Goldenes aufblitzen. Die goldene Kartusche der Isis. Malthus trug sie an einer Kette um den Hals, was nicht der Fall gewesen war, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Erst das Schwert, dann die Kartusche? Was hatte das zu bedeuten? Calliope konnte sich keinen Reim darauf machen. „Was ist los?“, wiederholte sie eindringlicher als zuvor.
„Jemand hat Roxy geholt, als Dagan und ich unterwegs waren. Und mit Naphré ist es dasselbe.“
Sonst stets kontrolliert, geriet Calliope fast aus der Fassung. „Geholt? Was soll das heißen? Man hat sie getötet?“
„Nein. Mitgenommen, gekidnappt. Nur wissen wir leider weder, wer es war, noch warum das passiert ist.“
„Hast du dich deshalb hier hereingeschlichen? Weil du fürchtest, ich könnte auch in Gefahr sein?“
„Nein. Eine
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