Fleischessünde (German Edition)
Verbindung mit Lokans Seele aufzunehmen, um sie herbeizuholen.
Mit einem Mal war es wieder da, das Wissen um das, was kommen würde, ihre Vorahnung, klar und deutlich. Das Isis-Blut – das war ihres. Und das Blut Sutekhs, Malthus’ Blut, das sie auch in sich hatte. Sie spürte, dass Malthus eine Verbindung zu Lokan aufgenommen hatte, und war mit einem Satz an der Seite des steinernen Tischs. Schon währenddessen hatte sie sich einen langen Schnitt über den ganzen Handballen beigebracht und führte die blutende Hand nun an Lokans Körper entlang – über die Brust, in der die Wunde klaffte, die zu seinem Herzen führte, über das umgekehrte Ankhzeichen, das ihm auf die Brust tätowiert worden war. Nun wusste sie auch den Grund dafür. Es war nicht allein eine Schmähung gegen Isis. Es war der Versuch, Lokans Brüder auf eine falsche Fährte zu locken.
Hinter sich hörte sie, wie Malthus ihren Namen rief, sie anflehte, zu ihm zurückzukommen, wie er schrie, dass er nicht mehr ohne sie leben wolle. Aber da taumelte sie schon durch ein schwarzes Loch hindurch ins Nichts und sah eine endlos lange Treppe vor sich, die im Zickzack hinaufführte und über der sich ein nachtschwarzer, mit Sternen übersäter Himmel aus breitete.
Einmal schaffte sie es noch, laut nach Malthus zu rufen und ihm die Hand entgegenzustrecken, aus der das Blut strömte. Sie sah noch, wie Lokans Körper wegrollte, schaffte es aber nicht mehr, ihn festzuhalten, und gab es auf. Sie hatte getan, was sie konnte. Sie hatte ihr Blut gegeben – Isis’ Blut und Sutekhs Blut.
Noch einmal streckte sie sich so weit, wie sie konnte, nach Malthus’ Hand. Doch das Loch, durch das sie gefallen war, wurde hinter ihr kleiner und kleiner. Sie konnte Malthus nicht mehr sehen, nur noch seine Fingerspitzen, als auch er die Handnach ihr ausstreckte. Und da dachte sie: Ich liebe ihn, und jetzt wird er es nie erfahren .
Mit letzter Kraft griff sie nach ihm und erreichte tatsächlich noch seine Hand. Dann verspürte sie einen fürchterlichen Druck, der sie wie unter einem gewaltigen Gewicht zu zermalmen drohte. Ihr Schädel, ihre Brust, ihr Becken, alles wurde ihr zerquetscht, dass sie schon meinte, ihre Knochen zerbersten zu hören. Doch dann war sie hindurch und fand sich in einem Meer von blendendem blauem Licht wieder. Und in Malthus’ Armen.
„Ich dachte schon, ich hätte dich verloren, Calli“, flüsterte er. „Verdammt, ich dachte, ich hätte dich verloren.“
Er sah blass und mitgenommen aus. Seine angstvoll geweiteten Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten.
Der steinerne Tisch hinter ihm war leer. Die Überreste Lokans waren durch dasselbe Loch eingesogen worden, durch das sie beinahe verschwunden wäre. Da wurde ihr schlagartig klar, dass Malthus vor die Entscheidung gestellt worden war, entweder sie oder seinen Bruder zurückzuholen. Er hatte sich für sie entschieden.
„Es tut mir so leid“, sagte sie leise. „Jetzt ist er fort. Es ist schrecklich. Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut.“
Er küsste sie ungestüm auf den Mund. „Das muss es nicht. Mir tut es nicht leid. Wir haben ihm eine Chance gegeben. Und er hat diese Chance auch noch. Seine Seele hat seinen Körper gerufen.“
„Aber dass du diese Wahl treffen musstest …“
„Es war die Wahl, die ich treffen wollte.“ Er umarmte sie und drückte sie so fest an sich, dass ihr fast die Luft wegblieb. „Ich liebe dich, Calli. Nenn es Schicksal oder wie du willst. Ich liebe dich, und ich gebe dich nicht wieder her.“
Es klang beinahe trotzig, wie er das sagte, als erwarte er ihren Widerspruch und habe schon eine Antwort darauf.
„Und ich liebe dich, Malthus Krayl“, erklärte Calliope, ohne sich darum zu kümmern, ob sie Zuhörer hatten oder nicht. Auchdass sie einer höchst ungewissen Zukunft entgegengingen und ihre Aussichten alles andere als rosig waren, kümmerte sie nicht.
Sutekh war noch immer gegenwärtig. Ein Vater, der den eigenen Sohn ermordete. Was hatte Malthus zu erwarten? Und was wartete auf Dagan und Alastor? All das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Eine unruhige Zeit stand ihnen bevor.
Fest zog Calliope Malthus zu sich heran und küsste ihn. Es war ein Kuss, der Leben versprach. Und Hoffnung. Solange sie zusammen waren, waren sie gegen alles gefeit.
Anfang war es nicht mehr als ein schwacher Schein. Aber er war so lange in der Finsternis gewesen, dass er schon gar nicht mehr wusste, was Licht war. Es schmerzte ihm in den Augen,
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