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Fleischessünde (German Edition)

Fleischessünde (German Edition)

Titel: Fleischessünde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Silver
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Menschen, von Göttern
    Oder den Geistern der Toten.
    Aus dem Ägyptischen Totenbuch, Kapitel 148
    V erzweifelt nach Luft schnappend, kam er an die Oberfläche. Wie eine pechschwarze Glocke sah er den Himmel über sich hängen. Die Fluten saugten ihn hinab, und er versank erneut wie in einem Sumpf, kaum dass er zuvor hatte Atem schöpfen können. Etwas zog an ihm, an seinem Knöchel, an seinem Handgelenk. Es war, als würde er auseinandergerissen, in ein Vakuum gezerrt.
    Nicht alles, nur Teile von ihm.
    Er kämpfte dagegen an. Mit äußerster Anstrengung schaffte er es noch einmal an die Oberfläche. Eisige Bäche rannen ihm über Nacken und Rücken. Über ihm war es stockfinster. Kein Stern war zu sehen, kein einziger.
    Keuchend versuchte er, sich über Wasser zu halten, und warf den Kopf hin und her, während panische Angst ihn erfüllte.
    Aber da war gar kein Himmel. Da war auch kein Wasser.
    Es war bloß das Gefühl eines unwiderstehlichen Sogs, der an ihm zerrte, Glieder an ihm taub werden ließ. Hände, Füße, Arme. Der Sog war so stark, dass er versucht war, sich diesem reißenden Strudel zu überlassen, sich mitnehmen zu lassen, sich zerreißen zu lassen, sodass er hier und dort sein würde. Was immer dort bedeuten mochte.
    Dann spürte er etwas. Es war wie ein Schimmer des Wiedererkennens, eine Verbindung, als sei da draußen jemand, der ihmbekannt vorkam. Der Schimmer war nur noch ein schwaches Flackern. Dann verschwand er gänzlich.
    Er fühlte sich beraubt, betrogen. Komm zurück!
    Nein – hilf mir hier heraus. Zeig mir den Weg zurück .
    Ja, das war es. Er musste zurück nach …
    Vor einer Sekunde hatte er noch ganz deutlich gewusst, wohin. Jetzt war es vorbei. Erloschen. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wohin er zurückkehren sollte. Er wusste ja nicht einmal, wer er selbst war. Oder wo er sich befand. Hier war nur Leere, weite, unermessliche Leere.
    Sein Kopf war schwer wie Blei und seine Gedanken in Nebel gehüllt. Verzweifelt suchte er nach seinem Namen. Seinen Namen musste er doch kennen. Das war das Wenigste. Dann fiel er ihm ein: Lokan. Er war Lokan Krayl. Er war sterblich und unsterblich, halb Gott, halb Mensch.
    Angefeuert von diesem halben Erfolg, drehte er sich auf die Seite und richtete sich dann auf allen vieren auf. Ihm wurde schwindelig und schlecht dabei, bis ihm klar wurde, dass er gar nicht wusste, ob er sich auf gerichtet hatte, denn an diesem Ort gab es kein Oben und kein Unten, keine Richtung, keine Orientierung. Er befand sich, so weit konnte er sich jetzt besinnen, in Gefangenschaft, in einer Art Gefängnis, mit dem einzigen Unterschied, dass dieses eines war, das keine Mauern oder Gitter brauchte. Er war gefangen in seiner Körperlosigkeit.
    Wieder ergriff ihn Panik, denn ihm trat plötzlich in aller Deutlichkeit vor Augen, dass er diese Art Einsichten schon vorher einmal gehabt hatte, mehr als ein Mal, und dass sie ihm jedes Mal wieder abhandengekommen waren. Es war dieser Ort. Dieser Ort beraubte ihn seiner selbst.
    Die Vorstellung bereitete ihm Schmerzen. Keine körperlichen Schmerzen – es war etwas anderes, ein unendliches Sehnen.
    Sie suchten nach ihm.
    Wer suchte?
    Seine Brüder. Jetzt erinnerte er sich, auch wenn diese Erinnerung nur aus Nebelschwaden bestand. Er hatte Brüder. Malthus, Alastor, Dagan.
    Und er hatte eine Tochter, Dana, seinen Schatz. Er hatte sie zu seinen Feinden geschickt, damit sie in Sicherheit war. Denn auf seine eigenen Truppen war kein Verlass mehr. Überall lauerte Verrat. Gahiji, der engste Vertraute seines Vaters, hatte dabeigestanden, als sie ihm die Haut von der Brust abgezogen hatten. Er sah die schwarzen Dolche vor sich, ein ovales Gefäß, in dem sein Blut aufgefangen worden war.
    Aber es gab da mehr als einen Verräter, nicht allein Gahiji. Es war noch jemand dabei, jemand, der ihm noch näher stand. Es war …
    Entsetzen erfasste ihn und ließ ihn zu Eis erstarren. Derjenige, der ihn hingeschlachtet hatte, konnte mit Leichtigkeit dasselbe mit denen tun, die er liebte, so leicht, wie man einen trockenen Zweig zerbricht.
    Er stand auf und rüttelte an den Gitterstäben seines Käfigs.
    Aber da war kein Käfig.
    Da war kein Lokan.
    Da war nichts als der Widerhall seines verzweifelten Schreis.
    Da war nichts. Gar nichts.
    Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend und halb tot vor Erschöpfung, stieg Calliope die Stufen der langen Treppe ins Innere des Bergs hinab und konzentrierte sich darauf, nicht zu stolpern und Hals über Kopf

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