Fleischessünde (German Edition)
Speise der Toten essen, wäre es ihnen nicht mehr möglich, sich zwischen den beiden Welten zu bewegen. Sie wären dann auf ewig an die Unterwelt gebunden.
„Ich habe es dir zwar schon zehnmal erklärt, ich erkläre es dir aber gern noch einmal“, sagte Alastor. „Dad hat Kai Warin geschickt, um Djeserit Bast zu holen. Kai hat sie befragt, aber sie hat nichts herausgerückt. Dann hat Kai seinen Job gemacht und ihre Schwarze Seele hierherbefördert. Dad hat sie ebenfalls noch freundlich nach Lokans Tod befragt. Er hat seinen ganzen Charme spielen lassen. Wieder kam absolut nichts von ihr außer ein paar Namen von Sterblichen, die wir aber alle schon kennen. Darauf hat er ihre Schwarze Seele verschluckt und …“
„… und das Ergebnis war dasselbe. Absolut nichts. Wie auf einer gelöschten Festplatte“, ergänzte Dagan.
„Was eine Frage aufwirft“, fuhr Alastor fort. „Kannst du eine Festplatte wirklich so löschen, dass nichts mehr darauf zurückbleibt? Ich meine, ein paar Datenspuren bleiben doch immer.“
„Es gibt schon ein paar Programme, die …“
„Sie hat wirklich keine Namen genannt?“, unterbrach Malthus.
Dagan zuckte die Schultern. „Wie gesagt, nur die, die alle schon bekannt sind. Ausschließlich Sterbliche.“
Malthus konnte es nicht fassen. Was seine Brüder ihm da erzählten, durfte, nein, konnte nicht wahr sein. Wenn Sutekh imdoppelten Sinne des Wortes eine Seele zu sich nahm, war das für ihn nicht nur ein nahrhafter Leckerbissen. Er eignete sich damit gleichzeitig auch alles Wissen, alle Erfahrung, alle Erinnerung an, die der Besitzer beziehungsweise die Besitzerin der Seele in ihrem irdischen Dasein gesammelt hatte.
Genauso musste es Sutekh auch möglich gewesen sein, in Djeserit Basts Seele zu lesen wie in einem offenen Buch. Stattdessen: kein Bild, kein Ton. Und das war nicht das erste Mal. Bei Joe Marin war es genauso gewesen. Überhaupt bei jedem, der in irgendeiner Weise mit der Ermordung von Lokan etwas zu tun gehabt hatte. Lauter unbeschriebene Blätter. Als habe jemand sie einer Gehirnwäsche unterzogen.
Seelensammler vermochten es in der Tat, etwas aus dem Gedächtnis eines Sterblichen zu löschen, wenn der zu viel gesehen hatte. Es war eine Art hypnotischer Trick, durch den der Betroffene zwar die Erinnerung an ein Bild oder ein Ereignis nicht vollständig verlor, aber dann der festen Überzeugung war, dass er das nur geträumt haben konnte.
„Wer hat eine solche Macht?“, fragte sich Malthus halblaut. „Wer kann eine Erinnerung so vollständig auslöschen?“ Er nahm noch ein Stück Baklava und aß es auf. Sein Heißhunger auf Zucker war noch nicht gestillt, wohingegen die Heilung seiner Wunden abgeschlossen war. Aber es hatte Kraft gekostet, die Malthus erst wieder sammeln musste.
Er drehte sich um und ging zur Mitte der Halle, wo ein Tisch aufgestellt war, den ein goldenes Tuch bedeckte und der von einer Reihe von Seelensammlern bewacht wurde. Mitten auf dem Tisch stand ein Kasten aus Blei. Seine Seiten waren mit den verschiedensten Symbolen bedeckt. Amenta, das Symbol für die Unterwelt, war darauf zu sehen, ebenso das gehörnte und geflügelte Ankh, das Symbol der Otherkin, der Isistöchter, die Kartusche der Isis, eingefasst in das die Ewigkeit symbolisierende verknotete Seil sowie der Krummstab und die Geißel als Insignien der Königsherrschaft.
Dagan, dem Malthus’ Interesse nicht entgangen war, meinte: „Sieht sehr nach einem Indiz aus, das auf Isis hinweist, nicht wahr? Oder auf Osiris.“
„In der Tat.“
Malthus näherte sich weiter dem Tisch. Einer der Wächter trat ihm in den Weg. Malthus musterte ihn scharf. „Meinst du wirklich, du musst ihn vor mir beschützen?“, fragte er ruhig. Der Seelensammler hielt seinem Blick einen Moment lang stand, dann wich er zurück, und Malthus trat an den Tisch heran.
Er wusste, was der Bleikasten enthielt. Lokans Überreste. Sieben Teile. Hände, Füße, Arme und den Torso. Sieben andere Teile fehlten. Dazu gehörte Lokans Herz. Und noch immer hatten sie keine Spur von der Seele seines Bruders.
„Wie seid ihr darauf gekommen, in den Zwischenreichen nach ihm zu suchen?“, wollte Malthus wissen.
„Ich bin eben ein verdammt helles Köpfchen“, antwortete Alastor. Dagan verdrehte die Augen, aber Alastor kümmerte sich nicht darum. „Nachdem Naphré und ich dem Jigoku entkommen waren und nach dem, was wir dort erlebt hatten, ging mir der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass Jigoku vielleicht nicht das
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