Fleischessünde (German Edition)
geringste Mitleid mit ihm gehabt, zum Beispiel als sie ihn mit dem Schwert aufgespießt hatte. Sie hatte sich eingeredet, dass sie Roxy angerufen hatte, um ihr Kummer zu ersparen.
Aber wenn sie ganz aufrichtig war, war da noch etwas anderes. Sie hätte nicht gewollt, dass dieses unwiderstehliche Lächeln für immer ausgelöscht würde. Außerdem wäre es ihm ein Leichtes gewesen, sie den Feuerdämonen zu überlassen und sich selbst in Sicherheit zu bringen, und er hatte es nicht getan. Er hatte sie davonkommen lassen, selbst um den Preis, dass sie Kuznetsov mitnahm.
Er sah sie einen Augenblick lang prüfend an, was in Calliope das unbehagliche Gefühl weckte, er könne ihre Gedanken lesen. Dann ging er zur Tür, lehnte das Ohr daran und lauschte. Mit dem Ergebnis offensichtlich zufrieden, wandte er sich wieder an sie. „Du bist aus Odessa. Das hätte ich nicht gedacht. Deinem Namen nach hätte ich eher auf eine Griechin getippt.“
Calliope war geschockt. Wenn er über Odessa Bescheid wusste, war das der eindeutige Beweis, dass er wahrhaftig in ihrem Traum gewesen war. Und jetzt wollte er anscheinend noch mehr erfahren, auch wenn er sie jetzt unschuldig mit seinen quecksilbergrauen Augen anblickte.
Sie fasste sich schnell wieder und entgegnete ruhig: „Mein Vater war Grieche. Er ist als Seemann nach Odessa gekommen und dann dort geblieben, nachdem er meine Mutter kennengelernt hatte. Zu jener Zeit war ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung der Stadt griechisch.“
Malthus’ Mundwinkel zuckte. „Wenn es eine Ähnlichkeit zwischen dir und deiner Mutter gibt, kann ich deinen Vater gut verstehen.“
„Lass das.“
„Irgendwann wirst du doch einsehen müssen, dass es bei uns knistert, Calli.“
„Irgendwann? Wann soll das sein? Wenn die Hölle zufriert?“
Er lachte gutmütig. „Oder wenn du dich an mich drängst und mir die Zunge in den Mund schiebst.“ Er warf einen Blick auf ihre vollen Lippen. „Ich war ernsthaft enttäuscht, dass du aufgewacht bist, als es gerade anfing, interessant zu werden. Aber Träume allein bringen es sowieso nicht. Ich bin schon gespannt darauf, wie die Wirklichkeit aussehen wird.“
Calliope, die sich auf dieses Geplänkel nicht einlassen wollte, kam auf die Frage zurück, die sie am meisten beschäftigte: „Wie hast du mich gefunden?“
Malthus zuckte die Schultern. „Vor unserer Knutscherei auf der Motorhaube deines Wagens hast du dich ja dankenswerterweise noch einmal genau umgesehen. Dein Rundblick hat es mir leicht gemacht. Ich habe gesehen, was du gesehen hast.“
„Du warst … in meinem Kopf?“ Die Vorstellung war entsetzlich. Sie hatte ihn hierhergeführt und damit die Isisgarde verraten. Ebenso gut hätte sie ihm eine Landkarte geben können, auf der ihr Standort mit einem Kreuz markiert war.
„Ich war in deinem Kopf, ja. Genau wie gerade eben, als die Bilder deiner Vergangenheit wieder aufgetaucht sind. Jedes Mal habe ich gesehen, was du gesehen hast, und gefühlt, was du gefühlt hast.“
„Wirklich alles?“
Er blickte sie scharf an. „Ich weiß genau, wie ich auf dich wirke. Du bist scharf auf mich.“
„Ich …“ Calliope verstummte sofort und ließ die Schultern sinken. Dann raffte sie sich wieder auf und kam zur nächstenwichtigen Frage: „Und wie bist du durch die Sicherungssysteme gekommen?“
„Weiß nicht. Vielleicht reagieren sie nur auf sterbliche Eindringlinge. So ein Portal ist eine praktische Sache. Es kommt, vereinfacht ausgedrückt, durch einen Riss zwischen Ober- und Unterwelt zustande, in dem sich die Energien beider Sphären vereinigen. Das hat man vermutlich außer Acht gelassen.“
„Wie viele von deinen Scheiß-Reapern hast du mit hierhergebracht?“, wollte sie wissen.
„Du hast vielleicht einen Ton am Leib!“ Er sah sie von der Seite an. „Ich bin deinetwegen gekommen, Calliope. Und da bringe ich niemanden mit. Ich will dich hier herausholen.“
Bedeutet ein Reaper allein schon eine Bedrohung für die Garde? fragte sie sich. Schwer zu entscheiden. Alles, was sie über Seelensammler wusste, hatte sie nur aus zweiter oder dritter Hand. Plötzlich ging ihr auf, was er eben gesagt hatte. „Was meinst du damit, dass du mich hier rausholen willst?“ Die Verletzung an der Seite begann zu schmerzen. Sie presste die Hand darauf. Die Stelle fühlte sich warm und feucht an. Sie blutete.
Stirnrunzelnd sah Malthus sie an. Er hatte es auch bemerkt. Er ignorierte ihre Frage, fasste stattdessen den unteren Saum ihres
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