Fleischessünde (German Edition)
sich auf den Beinen zu halten.
Dann war ihr schlagartig klar: Hier hatten gar keine Sicherungen überwunden werden müssen. Ihr Aggressor war eine Isistochter wie sie. Und der Dolch in ihrer Hand ließ keinen Zweifel daran, dass es hier um Leben und Tod ging. Dies hier war ein Mordanschlag.
Aber wie? Mit Billigung der Matriarchinnen? Oder war das der Verrat aus den eigenen Reihen, den sie schon vermutet hatte? Wenn die Matriarchinnen ihren Tod wollten, warum hatten sie sie dann nicht schon unter der Glaskuppel hingerichtet?
Jetzt kamen die Schläge in schneller Folge. Calliope parierte sie instinktiv und mit der Routine, die sie in endlosen Trainingsstundenerworben hatte. Sie konterte die Angriffe, blockte ab, schlug zurück. Sie spürte den Adrenalinschub, der ihre Kraft und Schnelligkeit beflügelte.
Wieder sah sie das Messer aufblitzen, das nach ihr stieß. Aber dieses Mal kam ihr Ausweichmanöver um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Die scharfe Klinge fügte ihr an der Seite einen langen Schnitt zu. Es ging jetzt nur noch ums Überleben. Gewiss, sie war eine Isistochter und verfügte über ganz andere Abwehr- und Heilkräfte als jede Normalsterbliche. Dennoch konnte ein gezielter Stich ins Herz oder eine Verletzung der Halsschlagader sie töten. Und genau darauf schien es die Angreiferin abgesehen zu haben.
Sie umkreisten einander, belauerten sich. Wieder schnellte die Klinge vor. Calliope konnte ausweichen, aber nicht verhindern, dass die Spitze des Dolchs ihren Unterarm traf und sie durch den Ärmel des Sweatshirts hindurch verletzte. Mit einem Fauchen ging sie zum Gegenangriff über und zielte auf die Kehle.
Plötzlich erstarrte ihre Gegnerin. Mit einer seltsamen, ruckartigen Bewegung wie ein Fisch am Angelhaken schnellte sie rückwärts empor. Calliope wich zurück, wischte sich schwer atmend den Schweiß von der Stirn und hielt sich die Seite, an der sie getroffen worden war. Es war das reinste Déjà-vu. Sie hörte im Hintergrund das Surren des Ventilators im Badezimmer, durch dessen halb geöffnete Tür ein Lichtstrahl fiel. Diese Szene hatte sie doch schon einmal erlebt … Ein Schatten, der wie aus dem Nichts auftauchte.
Calliope schnappte nach Luft. Malthus Krayl hatte die Frau am Hals gepackt, seine freie Hand bereit, zuzustoßen, bereit, das Herz herauszureißen. Es war die Vision aus ihrem Traum.
Malthus sah sie an. Sein Blick fiel auf ihre blutende Wunde an ihrer Seite, dann auf den purpurnen Fleck, der sich auf dem Ärmel ihres grauen Sweatshirts gebildet hatte. Er kniff die Augen zusammen.
„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich euer Techtelmechtelhier unterbreche“, sagte er. „War keine schlechte Show. Als Schlammcatchen in knappen Bikinis hätte ich sie noch besser gefunden.“ Er machte eine Pause und fügte mit einem frechen Grinsen hinzu: „Oder meinetwegen auch ohne Bikini.“
„Was machst du hier?“, fragte Calliope.
„Sieht so aus, als würde ich hier den Helden mimen.“ Während er sprach, drückte er seinem zappelnden Opfer weiter den Hals zu, machte aber keine Anstalten mehr, nach seinem Herzen zu greifen. Calliope hielt das auch für klüger.
Malthus betastete mit den Fingerspitzen seiner freien Hand den Hals der Blonden. „Wo haben wir denn deine Schlagader, mein Engel?“, murmelte er. „Ah, da ist sie.“
Er zog etwas aus der Tasche. Es war eine Injektionsspritze. Mit den Zähnen zog er die Kappe ab. Präzise traf er die Vene und leerte den Inhalt der Spritze.
„Intravenös“, meinte er und sah Calliope mit seinen grauen Augen an. „Das geht schneller. Sonst dauert es Ewigkeiten, bis sie einschläft.“
Wie aufs Stichwort sank die Frau zusammen. Malthus legte sie behutsam auf dem Boden ab und tätschelte noch ihre Wange, bevor er sich wieder aufrichtete.
Calliope sah ihn misstrauisch an. Sie traute dem Frieden und seinen Absichten nicht. Eine innere Stimme warnte sie. Sie könnte nach den Wachen rufen, hatte aber ernste Zweifel, ob sie ihnen noch trauen konnte. Die Frau, die dort zu Füßen des Reapers lag, hatte das Mal mit dem gehörnten und geflügelten Ankh auf dem Unterarm, das sie als Mitglied der Isisgarde auswies. Calliope trug dasselbe Zeichen auf ihrer Wade. Sie hatte es sich selbst beigebracht. Es war eine lange, schmerzhafte Prozedur gewesen, bei der sie sich die Linien in die Haut geätzt und abgewartet hatte, bis sie verheilt waren, und dann den Vorgang wiederholt hatte. Wieder und wieder. Jedes Mitglied der Garde, nachdem es
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