Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Kind-Mann, den ich hinter mir herziehen muss, wo immer ich hingehe. Stuart ist davon überzeugt, dass es innerhalb der nächsten fünfzig Jahre möglich werden wird, das eigene Gehirn auf einen Computer zu laden und nur als Funkeln auf einer Festplatte weiterzuleben. Ich sehne diesen Freudentag herbei. (Der Witz ist, dass Stuart seinerseits an einer Art elektronischer Trimethylaminurie leidet, denn seine unübertroffen widerlichen E-Mails und Beiträge in Internetforen sorgen dafür, dass ich innerhalb der Sammlergemeinde von Nazi-Erinnerungsstücken im Internet die allerletzte Person bin, die noch mit ihm spricht. Einmal hat er mehrere seiner Feinde durch einen Trick dazu gebracht, einen neunminütigen, im weitesten Sinne pornographischen Videoclip mit dem Titel Three Girls, Two Cups anzusehen; den Berichten zufolge hat sich mindestens eines der Opfer seitdem keinem Computer mehr genähert.) Doch bis der Tag gekommen ist, muss ich weiter nach ungewaschener Möse riechen.
Sie erwarten also vielleicht, dass ich meine Wohnung in Holloway bestens in Schuss halte, da ich so selten Lust verspüre, auszugehen. Aber seit Maria aufgehört hat, bei mir zu putzen, sind mehrere Monate vergangen, und angesichts des Stadiums, das die Dinge mittlerweile erreicht haben, befürchte ich tatsächlich, ohne all die dreckigen Socken, die Pizzakartons und die spermasteifen Papiertücher, die aussehen wie primitive künstliche Rosen, würde die Wohnung sich ein bisschen leer und unheimlich anfühlen. Mir macht ein bisschen Unordnung nichts aus. Und außerdem wäre selbst bei makelloser Ordnung der Fischgeruch für alle außer mir immer noch unerträglich. Manchmal betrachte ich ihn als Mutanten-Superkraft, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich bei den X-Men reinpassen würde.
Als ich nach meinem Besuch in Zroszaks Wohnung gegen ein Uhr morgens nach Hause zurückkehrte, weckte ich meinen Computer und schrieb einen Beitrag für das größte der Sammlerforen.
Betreff: Philip Erskine?
Verfasser: kevin (Beiträge: 1267 )
Zeit: 1 : 11
weiß irgendjemand was über einen Wissenschaftler und möglichen Bekannten von Hitler namens Philip Erskine?
Ich öffnete mein Chatprogramm. Stuart war wie üblich noch online. Er schläft nicht viel.
kevin: ich hab heute eine leiche gesehen
stuart: hast du dir die alte selbst ausgegraben? lol.
kevin: ich meine es ernst
stuart: wo denn?
kevin: darf ich dir nicht sagen
stuart: du tust ganz schön geheimnisvoll
hey, was ist das mit diesem »Philip Erskine«?
Stuart hat eine Browser-Vorrichtung, die ihn sofort auf jeden neuen Beitrag in jedem für ihn wichtigen Forum aufmerksam macht, sodass er nicht alle zehn Sekunden auf »aktualisieren« klicken muss.
kevin: nur etwas, auf das ich gestoßen bin
stuart: hat es was mit der leiche zu tun?
kevin: nein
stuart: komm schon
kevin: nein, es hat nichts damit zu tun
stuart: scheiße, halt mich nicht so hin
kevin: mach ich gar nicht
stuart: du meinst also, dass dir zwei voneinander unabhängige aufregende sachen in einer nacht passiert sind, die nichts miteinander zu tun haben? alles klar.
Mit schlechtem Gewissen klickte ich ein anderes Fenster an und startete eine Suche nach »Philip Erskine«. Es gab einen Motivationsredner dieses Namens, einen Geschichtslehrer, einen Stadtplaner, ein paar andere, aber keine Wissenschaftler. Ich kehrte zu dem Forum zurück. Zu meiner Überraschung hatte bereits jemand auf meinen Beitrag geantwortet.
Betreff: Philip Erskine?
Verfasser: nbeauman (Beiträge: 17 )
Zeit: 1 : 14
>weiß irgendjemand was über einen Wissenschaftler und
>möglichen Bekannten von Hitler namens Philip Erskine?
hat das was mit Seth Roach, dem Boxer, zu tun?
Ich erinnerte mich, dass Grublock den Namen erwähnt hatte, und schrieb:
Betreff: Philip Erskine?
Verfasser: kevin (Beiträge: 1 . 268 )
Zeit: 1 : 15
>hat das etwas mit Seth Roach, dem Boxer, zu tun?
ja. was weißt du noch?
und wartete fünf Minuten lang ungeduldig, aber es kam nichts mehr. Ich ging zu nbeaumans Profil, um mir seine sechzehn vorherigen Posts anzusehen: nur kurze, ganz gewöhnliche Beiträge zu bestimmten Diskussionen im Forum, von denen ich einige sogar zu der entsprechenden Zeit gelesen hatte, ohne weiter auf den Namen zu achten.
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, weitere Suchen zu »Philip Erskine« und »Seth Roach« zu starten, bei denen ich aber nicht viel erfuhr, und nebenbei diskutierte ich mit Stuart, ob Unity Mitford wirklich ein
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