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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Kölmel ist auch schon da.«
    Sie gingen ins Esszimmer und tranken eisgekühlten Brombeersaft. Innerhalb weniger Minuten trafen dann auch die beiden letzten Gäste ein: Mr.   Balfour Pearl, ein gutaussehender Mittdreißigiger mit dunklen Augen, bei dessen Vorstellung es hieß, er komme geradewegs aus dem Büro des Bürgermeisters, und Rabbi Shmuel Siedelman, der in etwa Pearls Alter hatte und deutlich reservierter auftrat als sein Kollege Berg.
    Ihr Gastgeber saß am Kopf der Tafel, Kölmel und Frink zu seiner Rechten und Pearl am gegenüberliegenden Ende. Während das Dienstmädchen das Abendessen servierte, das aus Kalbswürstchen, Zwiebelklößen und Kohl bestand, betete der Rabbi mit seinen Gästen für die Juden in Deutschland. Alle schlossen die Augen, bis auf Sinner, der sich im Esszimmer umsah. Er war nicht zum ersten Mal in einem feinen Haus: Im Caravan hatte er feine Pinkel getroffen, die ihn mit in großartige alte Häuser in Belgravia oder Knightsbridge genommen hatten. Aber dies war das erste Mal, dass er als richtiger geladener Gast, sogar als Ehrengast, in einem so feinen Haus war, und das erste Mal, dass er von einem Dienstmädchen bedient wurde. Die Rabbis, die er in London kannte, lebten nicht so, und sie strebten auch nicht danach, Regierungsvertreter zum Abendessen einzuladen. Er fragte sich, worin eigentlich der Unterschied zwischen einem Mann wie Rabbi Berg und einem Mann wie Albert Kölmel bestand. Sie kannten jeden, jeder kannte sie, und das war das Fundament ihrer Macht: Früher oder später gab es niemanden mehr, der ihnen keinen Gefallen schuldete. Es waren nur die Beschwörungsformeln, schien es Sinner, die sich unterschieden.
    »Sagen Sie, Seth«, wollte Berg im Anschluss an das Gebet wissen, »wie lange boxen Sie schon?«
    Sinner zuckte die Achseln. »So lange ich denken kann.«
    »Max, erzähl doch mal, wie du damals auf ihn gestoßen bist«, sagte Kölmel.
    »Ich will den Jungen nicht in Verlegenheit bringen«, sagte Frink und sah zu Sinner hinüber, aber Sinner reagierte nicht, und deshalb fuhr Frink fort. »Also, es passierte, als er zwölf Jahre alt war. Irgendein reicher Kerl mit einem großen schwarzen Bentley … Keine Ahnung, was der in unserem Teil der Stadt zu suchen hatte, aber er hatte Sinner – Seth, sollte ich sagen –, er hatte Seth einen Shilling gegeben, damit der eine Stunde auf seinen Wagen aufpasst, und ihm für seine Rückkehr noch einen Shilling versprochen. Nach zehn Minuten schleicht sich der Junge davon. Hatte vermutlich was entdeckt, das er stibitzen konnte«, fügte er hinzu und lächelte Sinner an, der wieder keine Reaktion zeigte. »Als Seth wiederkommt, sitzt so ein pickliger Nichtsnutz auf der Motorhaube des Bentley und raucht. Er ist bestimmt schon achtzehn oder neunzehn. Aber Sinner ist scharf auf seinen zweiten Shilling. Er sagt dem Kerl, er soll abhauen. Der haut nicht ab. Also springt Sinner einfach auf ihn drauf. Ich hab alles vom Milchladen auf der anderen Straßenseite aus beobachtet. Musste rüberrennen und Sinner wegziehen, sonst wäre wer weiß was passiert. Alle beide waren voller Blut. Und da hab ich zu Sinner gesagt, er müsste Boxer werden.«
    Nachdem Berg Frink und Sinner noch weiter ausgefragt hatte, sagte Siedelman: »Und Sie machen sich keine Gedanken, dass dieser Sport ein bisschen … goyische midas ist?« Sinner wusste nicht, was das bedeutete. »Mit seinen Händen das Blut eines anderen Juden vergießen.«
    »Hör mal, Shmuel«, sagte Berg. »Wenn die Juden nicht mehr boxen, gibt es keinen Boxsport mehr. Darauf sollten wir stolz sein. Und es ist auch kein Zufall, würde ich sagen. Wir wissen nämlich, wie man sich ernährt. Wir wissen, wie man fastet. Wir wissen, wie man sich sauber hält. Wir wissen, wie man gute Sitten pflegt. Natürlich sind wir gute Boxer. Hast du jemals Barney Ross gesehen, Shmuel? Ich habe ihn für seine Bar-Mizwa unterrichtet. Heutzutage geht er mit dem Tallit um die Schultern und Tefillin an den Armen in den Ring. Er wickelt sie langsam ab, küsst sie und legt sie in einen Samtbeutel, den er seinem Trainer gibt, und alle Zuschauer sind so still, als wären sie in der Schul . Es ist ein schöner Anblick. Aber unser Mr.   Roach – ich habe gehört, dass er nicht einmal den Stern auf seinen Shorts hat?«
    »Wir kümmern uns darum, Rabbi«, setzte Kölmel hinzu.
    »Ich sehe Juden gern kämpfen«, sagte Pearl. »Es ist nicht unsere Schrift, die sagt, dass man die andere Wange hinhalten soll. Wir sind jetzt

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