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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Nacht kroch er durch Stacheldrahtdickicht auf das Erwachen zu, wusste, dass die Stacheln nur die Blüten von Pflanzen waren, merkte, dass das Laken feucht war, und dachte, es müsse Blut sein. Dann erkannte er voller Entsetzen, was passiert war, und erinnerte sich, dass in seinem Traum zuerst der Junge mit den krummen Zähnen aufgetaucht war und dann erst der Stacheldraht.
    Davor hatte er Angst gehabt, seit sich herausgestellt hatte, dass er das Bett mit Gittins würde teilen müssen. Es war weniger der Fleck, der ihn beunruhigte, als vielmehr die Möglichkeit, dass Gittins nicht tief genug geschlafen und Erskines Murmeln und seine Zuckungen mitbekommen hatte. Das Murmeln und die Zuckungen waren bloße Mutmaßungen, aber Erskine erinnerte sich gut, wie die Jungen im Schlafsaal in der Schule gerufen und um sich getreten hatten, wenn sie nur von einem unschuldigen Fußballspiel träumten, und deshalb konnte er nicht glauben, dass sich sein Körper auf so abstoßende Weise offenbaren würde, ohne zumindest ein Signal zu geben. Natürlich würde er das nie mit Bestimmtheit sagen können, genauso wenig, wie er wissen konnte, ob Männern in Gittins’ Alter so etwas auch noch passierte oder ob im Gegenteil jeder andere auf der Welt seine Körpersäfte schon lange unter Kontrolle hatte, bevor er der Schule entwachsen war. Warum konnte man nicht einfach einmal im Monat zum Arzt gehen und sich den Samen, diese irrationale Flüssigkeit, ausspülen lassen wie den Eiter aus einem Furunkel? Vielleicht sollte er Gittins all das fragen und ihn erwürgen, sobald er ein paar nützliche Antworten erhalten hätte? Jawohl, dachte er, genau das würde er tun, wenn Gittins je auf diese Episode anspielen würde. Just in diesem Augenblick bewegte sich Gittins, und Erskine musste sich dazu zwingen, nicht aus dem Bett zu springen. Erst als draußen die Vögel zu singen begannen, schlief er noch einmal ein, und als die Weinreben aus Stacheldraht wieder über ihm zusammenwuchsen, erkannte er, dass er vorher gar nicht von dem Jungen geträumt hatte, der trotz seiner krummen Zähne hübsch war. Er hatte vom Bruder des Jungen geträumt.
    Am nächsten Morgen erwachte er mit einer Erektion und konnte sich nicht dazu überwinden, mit Gittins zu sprechen oder ihn auch nur anzusehen, sodass sie sich auch an diesem Morgen getrennt auf den Weg machten, als hätten sie sich wieder gestritten. Obgleich sie geplant hatten, erst in ein paar Tagen mit den Höhlen zu beginnen, hatte Erskine den Wald satt und brach nach Norden zu den Hügeln auf. Neben einem Teich trat er versehentlich auf einen Frosch und musste seinen Schuh mit einem Stock sauberkratzen.
    Ungefähr eine Stunde lang hatte er an einem Höhleneingang Steine umgedreht, als er hörte, dass jemand aus dem Wald kam und sich auf dem steinigen Abhang näherte. In der Annahme, es sei Gittins, stand er auf. Aber es war der Junge.
    »Was machst du hier?«, fragte er.
    Der Junge sagte etwas auf Polnisch.
    »Du bist mir hierher gefolgt.«
    Der Junge blickte nach unten und sah sich an, was Erskine machte.
    »Tut mir leid wegen gestern. Ich wollte mich nicht so benehmen. Ich hätte nicht so unhöflich zu deinem Bruder sein sollen.«
    Der Junge lächelte.
    »Und ich habe ganz vergessen zu fragen, ob du deine Tabakdose zurückhaben willst.« Erskine nahm sie aus der Tasche und hielt sie dem Jungen hin, aber der schüttelte den Kopf, ergriff wie am Tag zuvor Erskines Ärmel und führte ihn in die Höhle.
    Im Inneren roch es nach Fledermausdreck und Schimmel, ähnlich wie in dem leerstehenden Kricketpavillon in der Schule, in den sie manchmal gegangen waren, um eine Zigarette zu rauchen. Der Boden war steinig und uneben. Nach ein paar Metern standen sie in fast vollständiger Dunkelheit, und dort drehte der Junge Erskine den Rücken zu, zog seine Hose herunter und beugte sich vor. Erskine stand wie gelähmt da und starrte auf den Hintern des Jungen und die Spitze seines langen Schwanzes, die zwischen seinen Beinen hing.
    Es geschah wirklich. Alles um ihn herum fühlte sich plötzlich so weich an: eine Veränderung der Beschaffenheit aller Dinge, der Textur an sich, sodass jetzt selbst die Steine Fleisch waren; die unnachgiebige Welt hatte endlich nachgegeben, hatte sich völlig aufgegeben wie ein Kaninchen, das aufgeschnitten auf einem Seziertisch liegt, und er konnte sehen und berühren, was immer er wollte, er konnte hineingreifen und das Herz des Kaninchens zusammendrücken, bis es in seiner Faust platzte,

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