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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Meistens gingen die Leute davon aus, dass er sich aus Verzweiflung diesem unzuverlässigen Geschäft zugewandt hatte, aber das stimmte nicht ganz. Im Alter von achtzehn Jahren war Renshaw ohne Gefühl in der linken Hand aus der Schlacht von Passendale zurückgekehrt und hatte befunden, dass ein Mann, der überlebt hatte, was er überlebt hatte, in seinem Leben nie wieder einen Tag mit ehrlicher Arbeit zubringen sollte; und so war er zum Freiberufler geworden. Damals, als er noch Geld für einen Wagen und einen sauberen Kragen gehabt hatte, pflegte er die Rolle des ernsten jungen Bevollmächtigten einer entthronten russischen Gräfin zu spielen, die jemanden brauchte, dem sie vertrauen konnte und der ihr helfen würde, ihre Millionen von Rubel nach London zu schaffen, wobei sie zehn Prozent des Gesamtbetrags als Gegenleistung für die Anschubfinanzierung anbot, weil natürlich Bestechungsgelder und Bankgebühren fällig wurden. Als er nicht mehr ansehnlich genug war, um diese Geschichte durchzuziehen, erfand er Ruth. Dann bekam er Rückenmarktuberkulose und landete genau wie Sinner im St.   Panteleimon’s Hospital in Blackfriars, und dann starb er daran und endete hier in der Leichenhalle, die nicht einmal regelmäßig abgeschlossen wurde, weil alle im St.   P’s wussten, dass es Unglück brachte, wenn man sie betrat. Die Toten sollten in Frieden ruhen – Sinners Vater hatte ihm einmal erzählt, dass man in Polen früher die Tuberkulose an der Ausbreitung gehindert hatte, indem man die Leiche des ersten Opfers ausgrub und das Herz verbrannte.
    Sinners Hände zitterten so stark, dass er kaum Renshaws Hose aufknöpfen konnte, um festzustellen, ob er womöglich Geld im Futter eingenäht hatte. Obgleich er selbst keine Tuberkulose hatte, schien etwas aus der Tiefe seines Körpers diese romantische Krankheit anzustreben und wahllos die Symptome erraten zu wollen, sodass seine Haut gelb war und er sich drei- oder viermal täglich übergeben musste und so schnell blaue Flecken bekam wie ein reifer Pfirsich Druckstellen. Wenn er auf dem Gang stolperte, fiel er auf die Knie und musste sich ein paar Minuten an die Wand lehnen, bevor er wieder aufstehen konnte.
    Nachdem die Dinge in New York schiefgelaufen waren, waren sie nie wieder richtig ins Lot gekommen. Er dachte an den Tag nach dem Abendessen bei Rabbi Berg, als er durch die verschlossene Tür seines Zimmers mit Frink gesprochen hatte.
    »Lass mich raus.«
    »Keine Sorge, du kriegst dein Essen.«
    »Ich muss trainieren. Ich hab ’nen Kampf.«
    »Der Kampf ist abgesagt, Seth. Es ist alles abgesagt. Und das weißt du auch.«
    »Warum?«
    »Warum?«, sagte Frink. »Du fragst mich warum? Bei der ersten Gelegenheit hast du uns ausgetrickst, du bist abgehauen, du hast Judahs Geldbeutel gestohlen, du hast dich besoffen, und du hast mir in die verdammte Hand gestochen. Meinst du, dass Judah dich nach all dem noch mal in seiner Sporthalle trainieren lässt? Glaubst du wirklich, dass wir dich noch einmal in die Öffentlichkeit lassen? Wir gehen heim, bevor du dich selbst ins Gefängnis bringst, Sohn. Und übrigens: Von der Siegesprämie des Fielding-Kampfs wollten wir die Rückfahrt bezahlen, weißt du das noch? Daraus wird auch nichts. Judah gibt mir jetzt ein paar Dollar am Tag dafür, dass ich in der Sporthalle aushelfe, und dann leiht er mir noch was, bis wir genug zusammenhaben. Und das ist mehr, als wir verdammt noch mal verdienen. Vor allem, weil ich mit der bandagierten Hand eine wahnsinnig große Hilfe sein werde.
    »Ich will kämpfen.«
    »Das hättest du auch tun können, Seth. Das hättest du. Es war deine Chance. Und du hättest auch gewonnen. Es wäre der Anfang von etwas gewesen. Das wusstest du. Du bist immer schon so verdammt vorhersehbar gewesen, aber ich dachte, dieses eine Mal würdest du vielleicht eine Ausnahme machen. Denn du bist nicht der Einzige, der da mit drinsteckt. Ich tu’s auch. Du hast mich mit in die Scheiße geritten. Nach allem, was war. Interessiert dich das auch nur einen Deut? Ich schätze, das tut es nicht. Du kleiner Scheißer.«
    Trotz seines Ärgers schien Frink weich zu werden, bevor Sinner es tat; und auf dem Dampfer nach Hause, im Zug nach Euston und selbst als sie Schlange standen, um in einen Bus einsteigen zu können, versuchte er immer wieder, ein versöhnliches Gespräch einzuleiten. Aber Sinner ging nicht darauf ein. Er war es so leid, Frink zuzuhören, dass er beinahe bereute, den alten Mann in der Bar nicht umgebracht zu

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