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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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Alexander III . erlassenen »zeitlich begrenzten Verordnungen« nicht gestattet sei, sich im russischen Polen außerhalb von Städten oder Kleinstädten niederzulassen. Als sie erklärten, dass ihre Familie seit Generationen in Fluek gelebt habe und dass sie nur für wenige Monate fortgegangen seien, um dem Pogrom zu entgehen, wurden sie aufgefordert zu zeigen, wo sie gewohnt hatten. Das konnten sie jedoch nicht, weil ihr Haus niedergebrannt und ihr Land von anderen übernommen worden war. Also verließen sie Fluek ein weiteres Mal und gingen nach Norden in die Stadt Białystok, wo ihr drittes Kind, Sinners Vater, am selben Tag im Januar 1890 geboren wurde, an dem Erskine den 998-seitigen ersten Entwurf seiner Pangaean Grammar and Lexicon fertigstellte.
    Thurlow hatte ihm weiterhin von seinen Bemühungen abgeraten. Immer wieder brachte er Volapük ins Spiel, die zu dieser Zeit mit zweihunderttausend Sprechern beliebteste künstliche Sprache in Europa. Gerade war der Dritte Internationale Kongress in einem Hotel in Paris abgehalten worden, wo sogar die Kellner und Portiers sich ausschließlich der gebotenen Sprache bedient hatten. Er erklärte, dass Volapük von dem deutschen Pfarrer Johann Martin Schleyer geschaffen worden war, der nicht nur ein talentierter Dichter und Musiker war, sondern darüber hinaus von dreiundachtzig Sprachen zumindest die Grundlagen beherrschte – während Pangäisch von Erasmus Erskine erfunden worden war, der die Poesie hasste, die Musik hasste und nur Englisch, Latein, Griechisch und ein wenig Französisch beherrschte. Erskine gab zurück, dass Schleyer Katholik war. Thurlow wies auch darauf hin, dass Volapük, das größtenteils auf dem Englischen basierte, in wenigen Wochen erlernt werden konnte – während Pangäisch mit seinen dreißig Verbvalenzen, vierzig Derivationsverfahren, fünfzig Adjunktionsmodalitäten und neunundsechzig Konsonantenabstufungen so komplex war, dass nicht einmal Erskine selbst den Anspruch erheben konnte, es fließend zu sprechen. Erskine konterte, dass die Sprache nicht für Faulpelze gedacht sei.
    Während dieser acht Jahre gab das Pangäische Anlass zu vielen erbitterten Diskussionen, und zu dem Zeitpunkt, als Thurlow seinen gefeierten Gedichtzyklus Ischys and Coronis veröffentlichte, war Erskine so böse auf seinen alten Freund, dass er nicht ein einziges Exemplar des Buches in seinem Hause duldete. Das wiederum brachte Lydia auf, die Thurlow sehr gern hatte, war er doch einer der wenigen Freunde, die die Erskines in Hampshire hatten. Sie verlangte, dass die beiden Männer sich versöhnten, damit der gutaussehende ehemalige Schüler des Winchester College weiterhin zum Abendessen kommen konnte.
    Aber viel schlimmer als das Kritteln seines alten Freundes war Erskines Entdeckung, dass ausgerechnet Marcus Amersham ebenfalls an einer Plansprache arbeitete. Orba, wie sie genannt wurde, hatte in Yorkshire bereits einen Freundeskreis, der dabei war, die Bibel zu übersetzen. Auf die Rückseite jeder Broschüre über Orba hatte Amersham in achtfacher Ausfertigung eine Verpflichtungsformel gesetzt. Sie lautete: »Ich, der Unterzeichnende, verspreche, die von Professor Amersham geförderte internationale Sprache zu erlernen, wenn sich erweist, dass zehn Millionen Menschen öffentlich dasselbe Versprechen gegeben haben.« Daneben waren Name und Adresse auszufüllen. Sobald Amersham, der gar kein richtiger Professor war, zehn Millionen Erklärungen erhalten hätte, würde er ein Buch mit den Namen und Adressen aller Unterzeichner veröffentlichen. Wann immer Erskine besonders frustriert war, weil Orba – in seinen Ohren nicht mehr als ein Zischen und Grunzen – eine solche Popularität erlangte, setzte er sich drei oder vier Stunden lang mit seiner Frau hin und versuchte, sie in die Grundlagen der transrelativen Partizipanten oder sequenziellen Ikonizität einzuführen, aber obgleich die Idee einer künstlichen Sprache sie grundsätzlich zu begeistern schien, waren ihre Fortschritte enttäuschend, und zum ersten Mal in seiner Ehe fragte er sich, ob er die richtige Frau gewählt habe. Er bereute bitterlich, dass er seine Sprache nicht früh genug entwickelt hatte, um seinen Sohn mit Pangäisch als Muttersprache aufzuziehen. Dieselbe Firma, die Ultima Thule gedruckt hatte, druckte jetzt Tausende von Exemplaren der Reduced Pangaean Grammar and Lexicon , einer Kurzform des Werkes, die in Tabakläden kostenlos ausgegeben wurde.
    Aber schon im Jahre 1901 waren

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