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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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schlimmer sei als das Land, und brachte die Familie nach Fluek zurück, wo Sinners Vater blieb, bis er zweiundzwanzig war, und auf eine Fahrkarte nach Amerika sparte.
    Wie geplant traf sich im Jahre 1903 die Delegation, um eine Entscheidung für Esperanto oder Waldemar Rosenbergers Idiom Neutral zu treffen. (Pangäisch und Orba standen nie ernsthaft zur Debatte.) Die Delegation setzte ein Komitee ein. Das Komitee setzte eine Kommission ein. Die Kommission löste die Delegation auf und schuf stattdessen eine Union. Die Union setzte ein Komitee und eine Akademie ein. Die Akademie schuf einen Verband. Alles lief vollkommen logisch ab, und doch versagten sehr viele Anhänger der Bewegung für eine Weltsprache sowohl der Delegation, dem Komitee, der Kommission und der Union als auch dem weiteren Komitee, der Akademie und dem Verband die Anerkennung, sodass sie schließlich aufgaben, ohne dass je ein Abschlussbericht erschien – genau wie ein Jahrhundert zuvor das Moskauer Komitee zur grundlegenden Reform der Juden aufgegeben hatte, nachdem es sich nicht hatte entscheiden können, ob Rabbis, Kantoren, Lehrer, Schächter (wie Sinners Ururgroßvater) und andere Funktionäre in die Kategorie nützliche Juden oder in die Kategorie nutzlose Juden fallen sollten.
    (Tatsächlich konnte also keine der neuen Sprachen, nicht einmal Esperanto, triumphieren. Und doch fasste Pangäisch lange nach Erasmus Erskines Tod im Jahre 1912 in gewisser Weise noch Fuß in Europa. Hitler schrieb in Mein Kampf , dass die Juden eine universale Sprache einführen würden, sobald sie die Welt versklavt hätten, und später ließ er den Unterricht sowohl von Pangäisch als auch von Esperanto im gesamten Dritten Reich verbieten, obwohl das Argument vorgebracht wurde, dass sie helfen könnten, die deutsche Sprache rein zu halten, indem sie die Übernahme von Fremdwörtern verhinderten. Nach der Invasion Polens erhielt der Chef der Gestapo in Warschau die ausdrückliche Anweisung, alle Mitglieder der Familie Zamenhof zu inhaftieren. Zamenhofs Sohn wurde erschossen, seine beiden Töchter starben im Konzentrationslager Treblinka, nur seine Schwiegertochter und sein Enkel konnten entkommen. Stalin dagegen glaubte, dass eine Weltrevolution eine Weltsprache brauche, und er versuchte, sowohl Pangäisch als auch Esperanto zu erlernen. Es gelang ihm jedoch nicht, sodass er beschloss, sie aus der Sowjetunion zu verbannen, und die Rücknahme von Briefmarken in pangäischer Sprache befahl, die übereifrige Untergebene bereits herausgegeben hatten. Weder Erasmus Erskine noch Philip Erskine hörten je die wahre Geschichte von dem Pangäaner, dem Esperantisten und dem Juden, die 1939 in eine Gefängniszelle in Wilnius geworfen werden. »Schalom«, sagt der Jude. »Saluton«, sagt der Esperantist. »Ilaksh«, sagt der Pangäaner. Keiner versteht den anderen, alle drei verhungern.)
    Im Jahre 1905 jedoch machte sich Erskine weniger Sorgen um die Delegation für die Annahme einer internationalen Hilfssprache als um den Verdacht, den er gegen seine Frau geschöpft hatte. Sie tat geheimnisvoll und schrieb viele Briefe. Inzwischen war er schon zweimal überraschend aus London zurückgekehrt und hatte gehört, wie sich Türen öffneten und schlossen, die keinen Grund hatten, sich zu öffnen und zu schließen. Und wenn Richard Thurlow zu Besuch war, geschah es häufig, dass seine Frau und Thurlow ihr Gespräch unvermittelt abbrachen, wenn Erskine den Raum betrat. Dann versuchten sie hektisch, diesen Umstand zu vertuschen, und fielen sich gegenseitig ins Wort.
    Nachdem er über eine Woche im Voraus angekündigt hatte, dass er an einem Treffen des Westminster Pangaean Club teilnehmen würde, verließ er eines Tages das Haus und versteckte sich in den Stallungen, von wo aus er die Straße überblicken konnte, die von Scranville heraufführte. Ungefähr zur Mittagszeit traf Thurlows Kutsche ein. Erskine wartete noch eine halbe Stunde, bis er ins Haus ging und auf Zehenspitzen zum Wohnzimmer schlich. Er hielt sein Ohr an die geschlossene Tür und hörte, dass seine Frau und sein Freund, genau wie er geargwöhnt hatte, die widerwärtigsten tierischen Laute von sich gaben. Er stieß die Tür auf.
    Da waren sie, auf der Chaiselongue. Sie blickten auf, die Gesichter von Schock und Scham gezeichnet. Zwischen ihnen lag, unanständig geöffnet – eine Grammatik des Orba.
    Er drehte sich um und ging weg, die Tränen unterdrückend. »Es tut mir leid, Erasmus!«, rief ihm Thurlow

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