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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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manchmal Blitze in dem schmalen Korridor zwischen den beiden Räumen und versetzten dem Herzmuskel eines jeden Dienstmädchens einen Schlag, das zufällig einen Silberkrug oder Kerzenleuchter in der Hand trug. Kleidungsstücke wurden aus der Waschküche nach zwei oder drei Wochen wieder nach oben geschickt; strahlend sauber, aber auch mit zerrissenen Säumen und nach Benzin stinkend, landeten sie für gewöhnlich im falschen Zimmer, was dazu führte, dass die Gäste ihre schlammigen Reithosen unter den Betten versteckten. Nach einem Unfall mit einer Vakuumdüse, der nie in zufriedenstellender Weise aufgeklärt werden konnte, musste ein Gast ins Krankenhaus gebracht werden. William Erskine war bereit, all das zu ignorieren, aber dann starb sein Lieblingsdiener eines Tages im Jahre 1919 an einem Stromschlag, den ihm die Kette am Stopfen einer galvanischen Badewanne versetzt hatte, und plötzlich verlor er wie einst sein Vater alles Interesse an Claramore und an seinem alltäglichen Betrieb und überließ es seiner Frau, sich um ein Haus zu kümmern, das jetzt einen zusätzlichen Stab Diener brauchte, um das launenhafte Benehmen all seiner Maschinen zu kompensieren.
    Nur noch einmal in seinem Leben hatte William Erskine einen Anfall von Optimismus und wurde von der Hoffnung auf eine automatisierte Zukunft erfüllt. 1928, in derselben Woche, in der sein Sohn mit dem Studium in Cambridge begann, las er in der Times , dass verschiedene Firmen inzwischen »Brass Brains« herstellten, raffinierte Abkömmlinge des Tidenrechners, den er sechzehn Jahre zuvor betrachtet hatte. Vorübergehend wurde er von genau demselben Enthusiasmus ergriffen, der ihn seinerzeit zur Neuerfindung von Claramore inspiriert hatte; also verkaufte er ein paar Aktien und bezahlte mit dem Erlös ein Blechhirn der Spitzenklasse, das per Schiff aus Binghampton, New York, versandt und in der Bibliothek installiert wurde. Im Anschluss daran schien William Erskine mehrere Monate lang aus einem endlosen Vorrat an Rechenaufgaben zu schöpfen, die dringend der Lösung bedurften, oft während des Abendessens oder mitten in der Nacht, sodass das Haus stundenlang vibrierte, wenn das metallische Untier mit seinen blankpolierten Zähnen knirschte. (Die Bibliothek gehörte nicht länger zu den Orten, an denen man gerne Platz nahm, um zu lesen.) Er ging so weit, seinen Gutsverwalter zu feuern, aufgrund der Annahme, dass dieser im Grunde nur eine Menge Zahlen zusammenrechnete; kurze Zeit später sah er sich gezwungen, seiner Frau eine Notiz zu schreiben, in der er sie bat, den Mann wieder einzustellen. Durch die Anschaffung in seiner gesamten Persönlichkeit verjüngt, fragte er Philip und Evelyn jetzt häufig, was sie und ihre Freunde denn so anstellten, und brachte sie in Verlegenheit, indem er selbst über die harmlosesten Witze und Geschichten verschwörerisch kicherte. Aber die Wirkung konnte nicht ewig anhalten, und so dauerte es nicht lange, bis William Erskine wieder der Alte wurde und zu seinem schroffen Verhalten zurückkehrte, mit dem Ergebnis, dass es niemanden mehr gab, der sich auch nur im Geringsten an Claramores Maschinen erfreute – bis etwa sieben Jahre später Amadeo Amadeo eintraf, einer der Teilnehmer an der Tagung der Faschisten. Er hatte den damaligen Bericht in Béton gelesen und war ganz außer sich vor Begeisterung, als er eigenhändig die berühmte zentrale Vakuumpumpe des Hauses streicheln durfte.
    »Die ist diesen mickrigen tragbaren Modellen, die es heutzutage gibt, wirklich haushoch überlegen«, sagte Amadeo mit erhobener Stimme, während die Pumpe laut dröhnte. »Mit der hier könnten Sie die Wolken vom Himmel saugen.«
    »Äh, in der Tat«, sagte Philip Erskine.
    Sinner hatte ihn an diesem Nachmittag im Wagen von London nach Claramore gefahren. Als der Junge zum vierten oder fünften Mal gutgelaunt auf die falsche Spur gezogen oder beim Überholen einen Radfahrer in den Straßengraben gedrängt hatte, war Erskine überzeugt, dass Sinner das absichtlich tat, um ihm Angst einzujagen; doch auch wenn er nicht sicher war, dass er oder das Auto sich je wieder vollständig von dieser Tortur erholen würden, ließ sich nicht leugnen, dass sie erstaunlich gut in der Zeit lagen. Als sie am frühen Nachmittag ankamen, stießen sie auf seine Mutter, die auf dem Rasen vor dem Haus stand und sich mit einem Herrn mit olivenfarbenem Teint unterhielt, der einen strahlend gelben Anzug von radikal asymmetrischem Schnitt trug. Das Kleidungsstück schien

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