Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Amadeo nach unten ging, der, wie Erskine sich jetzt erinnerte, einer der weniger bedeutenden italienischen Futuristen war. Wie viele andere in dieser Bewegung hatte Amadeo nach einem Krieg verlangt, damit Europa neue Stärke gewänne. Nachdem der Krieg pflichtschuldigst ausgebrochen war, begannen die meisten seiner Gesinnungsgenossen, die nicht erwartet hatten, das Gewünschte ganz so schnell zu bekommen, nach ganz anderen Dingen zu verlangen, aber Amadeo verlangte einfach nach noch mehr Krieg – länger, blutiger und in noch gründlicher technisierter Form. Tatsächlich hielt er sich selbst für den engagiertesten aller Futuristen, weil er über mehr als zwei Jahrzehnte nicht eine einzige seiner ästhetischen oder politischen Positionen aufgegeben hatte; seine Prinzipien standen unverrückbar wie die Maschinen von Claramore. Mit fünfzig aß er immer noch keine Pasta, bediente sich einer selbsterfundenen alternativen Interpunktion und ließ seine Kleider von dem einzigen »dynamischen« Schneider machen, den es in Mailand noch gab; er vergiftete weiterhin Möwen, und gelegentlich wusch er sich die Haare mit Motorenöl. Wie die meisten Vortragenden der Tagung in diesem Sommer hatte er wenige Freunde.
Sie bewegten sich von der Vakuumpumpe zur Trockenschleuder. »Sehen Sie, wie ihre schimmernden industriellen Vektoren die perfekten Rundungen weiblicher Schenkel aufnehmen?«, sagte Amadeo und seufzte wehmütig. Erskine beschloss, ihn sich selbst zu überlassen. Er hatte seinen Vater noch nicht gesehen und wusste, dass es besser war, die Begegnung hinter sich zu bringen. Aber auf dem Weg ins Arbeitszimmer seines Vaters hörte er schrille Klavierakkorde und ging ins Wohnzimmer.
»Hallo, Phippy«, sagte Evelyn. »Ich muss zugeben, dass ich mich beinahe freue, dich zu sehen.«
»Geht mir auch so.«
»Ich sehe, dass du deinen ›Diener‹ mitgebracht hast – oder was immer er ist.«
»Ja. Komponierst du?« Erskine wusste, dass seine Schwester sich nur auf die ›atonale Musik‹ (ihm war schleierhaft, was das sein sollte) geworfen hatte, weil sie auf diese Weise ihre Eltern irritieren konnte, und er wusste auch, dass es nicht funktionieren würde – selbst ihr Vater konnte nicht so dämlich sein zu glauben, dass sie diesen Mist wirklich mochte. Ein Großteil klang nämlich wie die Art von Musik, die ein sadistischer Zahnarzt in seinem Wartezimmer abspielen würde, um die Patienten in Angst und Schrecken zu versetzen. Alistair Thurlow, der angeblich alles über derlei Dinge wusste, hatte behauptet, Evelyns Kompositionen zeugten »von einem erstaunlichen Talent«, und hatte versucht, Erskines Eltern zu überreden, sie auf irgendeine Akademie zu schicken, aber Erskine war fest davon überzeugt, dass er das aus reiner Höflichkeit getan hatte.
»Nein. Ich übe nur. Ich kriege nichts hin, wenn ich in diesem Haus eingesperrt bin.«
»Dann mach doch einen Spaziergang.«
»Das nützt überhaupt nichts«, sagte Evelyn bedeutungsschwanger.
Bevor Erskine sie fragen konnte, was sie meinte, platzte ein rothaariges, etwa zwölfjähriges Mädchen ins Zimmer und rief: »Mr. Erskine, ich habe gerade gesehen, wie Ihr Freund Mr. Morton Ihre liebe Mutter brutal geschändet hat!«
Erskine war für einen Augenblick schockiert, aber dann erkannte er, dass es sich bei dem Mädchen um Millicent Bruiseland handelte, die sich immer so verhielt. Nach einer Fehde mit ihrem Mann wollte sich Millicents Mutter offenbar auf verschlagene Weise an ihm rächen und hatte ihre unerträglich frühreife Tochter zu einem finnischen Psychiater geschickt. Dieser hatte ihren Kopf mit Ideen und Worten vollgestopft, deren Bedeutung ihr weitgehend unklar blieb, und jetzt erhob das Mädchen ständig groteske Anschuldigungen dieser Art. Ihre Eltern waren überzeugt, dass sie dieses Verhalten bald ablegen würde, wenn man ihm nur keine Beachtung schenkte.
Evelyn sagte: »Verschwinde, Millie, und schreib deinen Roman.«
Millicent zischte und verließ das Zimmer. »Ich verstehe wirklich nicht, was die Leute an Kindern finden«, fuhr sie fort.
»Nein.« Erskine sah auf. »Warte mal, ist Morton tatsächlich hier? War dieser Teil ihrer Geschichte wahr?«
»Ja.«
»Mein Gott! Ausgerechnet er!«, rief Erskine. »Warum?«
»Na ja, Mosley kommt nicht – nicht dass irgendjemand außer Vater das je geglaubt hätte –, und Bruiseland hat darauf bestanden, dass ein ›Repräsentant‹ der Schwarzhemden anwesend sein müsse.«
»Aber warum denn Morton? Der
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