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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Beauman
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aus einer Art glänzendem Einwickelpapier gefertigt zu sein und wurde von einem einzigen großen Stahlknopf in der Mitte der Jacke geschlossen.
    Sinner parkte neben den steinernen Greifen, und sie stiegen aus. Erskines Mutter kam herüber. »Liebling! Da bist du ja. Und wen hast du da bei dir?«
    »Hallo, Mutter. Das ist nur mein Diener, Roach.«
    Sinner zog seine Kappe auf die Art, wie es Erskine mit ihm einstudiert hatte. Mit seiner Weste, dem steifen Kragen und der gebügelten Hose machte er einen durchaus respektablen Eindruck – in dem Maße, dass es auf Erskine, der die Kleider mit großem Vergnügen ausgesucht hatte, geradezu komisch wirkte.
    »Du bringst deinen eigenen Diener in das Haus mit, in dem du aufgewachsen bist?«
    »Ja.«
    »Das ist sehr bedauerlich. Ich habe meinen Sohn erwartet, nicht Prinz Franz Joseph von Battenberg, aber ich vermute, wir werden irgendwie zurechtkommen.« Sie umarmte ihn und fügte dann leise hinzu: »Ist er nicht ein wenig … Ich meine, was macht er denn, wenn er etwas von einem hohen Regal holen soll?«
    »Er ist ein hervorragender Diener.«
    »Nun gut.« Philip Erskine war, wie inzwischen klar geworden sein dürfte, kein einfaches Kind gewesen, und seine Mutter nahm an, dass er schließlich einen Diener gefunden hatte, der es verstand, sich auf seine absurden Empfindlichkeiten und seine Pingeligkeit einzustellen. Sie selbst war ganz anders als ihr Sohn. Sie war eine sehr schöne Debütantin gewesen, die sich nur dann für Politik interessierte, wenn sie ihre großzügigen Spenden für die Armen rechtfertigen wollte. Bald nach ihrer Hochzeit hatte sie begriffen, dass sie weniger einen Mann als ein Haus geheiratet hatte – ein Haus, das, schon bevor das Familieneinkommen der Erskines langsam dahinzuschwinden begann, sogar schon vor den verdammten Maschinen, in dem Ruf gestanden hatte, trotz seiner gemäßigten Größe enorme Schwierigkeiten verursachen zu können. Am Anfang war ihr das alles absolut unmöglich vorgekommen, aber inzwischen hatte sie Vergnügen daran gefunden und fragte sich manchmal, ob sie nach dem Tod ihres Mannes möglicherweise wegziehen und eines der großen europäischen Hotels leiten könnte.
    Was ihren Sohn betraf, so liebte er seine Mutter, aber es gab verschiedene Hindernisse, die einer warmherzigen Beziehung zu ihr im Wege standen, nicht zuletzt sein heimlicher Abscheu vor der bloßen Idee der Familienähnlichkeit. Wenn er Verwandte betrachtete, die sich ähnlich sahen, erinnerte ihn das Verhältnis, in dem die beiden Gesichter zueinander standen, an den Geruch von faulem Obst verglichen mit frischem, an eine Karikatur verglichen mit einer Fotografie. Und immer enthüllte der Abklatsch die verborgene Hässlichkeit des Originals. Deshalb hasste er es, wenn er in einem Spiegel zufällig sein eigenes Abbild zusammen mit dem seiner Mutter, seines Vaters oder seiner Schwester erblickte. Er war sich absolut sicher, dass Sinner in jenem Augenblick die beiden Erskines betrachtete und fand, dass Philip wie eine schlechte Imitation seiner Mutter in männlicher Gestalt aussehe und seine Mutter wie eine schlechte Imitation ihres Sohnes in weiblicher Gestalt.
    »Und jetzt muss ich dich Signor Amadeo vorstellen«, sagte die Imitation in weiblicher Form.
    Amadeo lächelte und streckte seine rechte Hand so aus, dass sein Arm in einem exakten rechten Winkel von seinem Körper abstand. Erskine schüttelte ihm unbeholfen die Hand, für einen Augenblick geblendet von der hellen Augustsonne, die in dem Stahlknopf des Italieners funkelte.
    »Es ist mir ein großes Vergnügen, Sie kennenzulernen«, sagte Amadeo.
    »Signor Amedeo brennt darauf, all die Apparate im Wirtschaftstrakt zu sehen – warum zeigst du sie ihm nicht?«
    »In Ordnung«, sagte Erskine. »Bringen Sie bitte mein Gepäck nach oben«, wies er Sinner an. In keiner der Taschen befand sich Anophthalmus hitleri ; er hatte entschieden, dass es sicherer sei, die Kiste in der Wohnung zurückzulassen und so viele Hühnerknochen hineinzustopfen, dass sie den hungrigen Käfern einen Monat lang reichen würden.
    »Gehen Sie hinein, und fragen Sie nach Godwin«, fügte seine Mutter hinzu. »Er zeigt Ihnen Philips Zimmer und alles andere. Ich fürchte, dass die Gepäcklifte schon wieder nicht funktionieren.«
    Sinner ging mit den Koffern ins Haus und ließ nur den kostbaren Handkoffer zurück, der den beschönigten zweiten Entwurf der Geschichte des Pangäischen enthielt. Erskine nahm den Handkoffer mit, als er mit

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