Flieg, Hitler, flieg!: Roman
die fähig war, etwas wirklich Neues zu tun. Zum zweiten Mal füllten sich seine Augen mit Tränen. Erskine begann zu frohlocken, und er wollte, dass Sinner mit ihm frohlockte, damit sie hinterher Hand in Hand nach unten gehen und die Wahrheit über Mortons Tod sagen konnten, und wer konnte wissen, was dann geschehen würde? Er war bereit. Und dann hörte er die Zimmertür quietschend aufgehen, gefolgt von Millicent Bruiselands Stimme.
»Genau wie ich es mir dachte!«
Erskines Herz blieb hängen wie ein Zeh in einer Mausefalle. Sinner machte keine Anstalten, aufzuhören, und Erskine hatte nicht die Kraft, ihn abzuwerfen, also versuchte er verzweifelt, ein Laken über sich und Sinner zu ziehen, aber er konnte seine Arme nicht freibekommen.
»Das werde ich allen erzählen«, sagte Millicent. Der schaudernde Erskine hörte sie aus dem Zimmer laufen. Im selben Augenblick vollendete Sinner mit einem letzten qualvollen Stoß seine Aufgabe.
Der Junge rollte sich von seinem Besitzer, und sie lagen keuchend da. Erskine roch den unverschämten Geruch, den er von dem Vorfall in seinem Labor kannte. Am liebsten hätte er sich selbst mit dem Kissen erstickt, aber er sagte nur: »Ziehen Sie sich an. Es könnte jemand heraufkommen.«
»Sie werden ihr nich’ glauben.«
»Sie hätten aufhören sollen!«
»Hätte nix gebracht.«
»Halten Sie den Mund!« Erskine zog einen Morgenmantel über. »Ich werde ein Bad nehmen.«
Er konnte Sinner nicht ansehen. Seine Stimme klang monoton. Etwas in seinem Inneren war ertrunken wie Kätzchen in einem Sack. Zum zweiten Mal erinnerte er sich an die Höhle in Fluek. Warum musste er jedes Mal unterbrochen werden? Steckten Gittins und das Mädchen unter einer Decke?
»Wenn dieser … Akt mich von irgendetwas überzeugen sollte, so war es vergebens. Ich bin keiner von Ihren Knaben aus dem Nachtclub.«
»Es hat dir gefallen.«
»Halten Sie den Mund!«
»Glaubst du, das merke ich nicht?«
»Halten Sie den Mund!«
»Und was ist das da?«
Sinner zeigte auf etwas. Erskine sah nach unten. Auf seinem Hemdschoß war ein dunkler Fleck, und weißer Saft quoll aus den Haaren auf seinem Bauch. Der Schreck über Millicent Bruiselands Auftauchen hatte ihn so durchgerüttelt, dass er seinen eigenen erstickten, nutzlosen Orgasmus gar nicht bemerkt hatte. Schnell schlug er den Morgenmantel zusammen und schloss ihn mit einem komplizierten, festen Knoten. Er dachte an die australischen Schlupfwespen, deren Männchen von Orchideen durch geschickte Täuschung dazu gebracht werden, sie für Weibchen zu halten und auf sie zu ejakulieren. Am Ende bevorzugen die Männchen sogar die Blume, wenn sie die Wahl haben.
Zwei Stunden später stieg er aus der Badewanne und ging in sein Zimmer zurück. Sinner war verschwunden, aber es roch immer noch. Er zog sich an. Draußen im Flur traf er auf seine Mutter. Sie sah aus wie etwas, das in der Tasche einer Hose gesteckt hatte, während sie gewaschen worden war.
»Dein kleiner Mann ist mit deinem Wagen davongefahren«, sagte sie.
»Äh, ja, darum habe ich ihn gebeten.«
»Warum um alles in der Welt solltest du das tun, Philip?«
»Er … Es gibt eine dringende Angelegenheit, um die er sich in London kümmern muss.«
»Zu einer Zeit wie dieser?« Ihre Augen waren sehr rot.
»Ja.«
»Mrs. Erskine!«, rief Millicent Bruiseland, die am Ende des Flurs aufgetaucht war.
»Nicht jetzt, Millicent.«
»Aber ich habe überaus wichtige Informationen über Ihren Sohn.«
»Das hast du häufig.«
»Aber ganz, ganz ehrlich, diesmal schwöre ich, dass es –«
»Um Himmels willen, Mädchen, selbst du bist alt genug, um zu wissen, dass jetzt nicht die passende Gelegenheit für deine endlosen Obszönitäten ist«, bellte Erskines Mutter. »Ihr solltet euch schämen, du und deine Eltern. Geh in dein Zimmer.«
Millicent Bruiseland sah Erskine wütend an und rannte davon. Erskines Mutter brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen, und fragte dann: »Wie kommst du nach Hause, ohne Wagen?«
»Mit dem Zug«, antwortete Erskine.
»Du verabscheust den Zug.«
»Was zum Teufel tut das zur Sache, Mutter?«, schrie er und drängte sich an ihr vorbei zur Treppe. Er überlegte, worüber Sinner wohl am lautesten lachte, während er nach London zurückfuhr – wie leicht Erskine zu überwältigen gewesen war oder welche widerwärtigen unmännlichen Geräusche er während des Vorgangs von sich gegeben hatte?
Aber die Wahrheit war, dass Sinner, als er an Camberley vorbeikam,
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