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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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mehr passieren. Heute würde ich
dem Arschloch mit Freude die Nase brechen, und wenn es das Letzte war, was ich
tat!

    Â»Mein Vater ist groß, sportlich. Spielt Tennis, Squash
und Golf. Er wiegt mindestens doppelt so viel wie ich.«

    Dickes flinke Augen, die tief zwischen den nach unten
gezogenen Wülsten ihrer Brauen und dem hochquellenden Fleisch ihrer Wangen
verborgen waren, flitzten an mir herunter.

    Â»Ich komme eher nach meiner Mutter«, erklärte ich.

    Sogar das stimmte. Verschwommen, wie im Nebel, tauchte
meine Mutter in meiner Erinnerung auf.

    Sie steht nackt vor
einem Spiegel. Wohl einfach, weil sie so oft nackt vorm Spiegel steht. Kritisch inspiziert sie ihren Körper.
Angezogen wirkt sie größer, als sie ist, sehr weiblich, durch Gel-Einlagen im
BH und die lange, blonde Mähne, die die wöchentliche Drei-Stunden-Sitzung beim
Friseur noch immer vor grauen Strähnen bewahrt.

    Nackt erscheinen
die Folgen lebenslanger Diäten und Fitnesskuren surreal. Man sieht nicht nur
die einzelnen Rippen, die Schlüsselbeine, das Becken deutlich unter der
geisterhaft durchsichtigen Haut hervortreten, man kann auch erkennen, welche
der durch gnadenloses Aerobic-Work-Out trainierten Muskelstränge sich bei ihren
Bewegungen zu dünnen, harten Sehnen spannen und ihr mit Haut überzogenes
Skelett in Bewegung setzen.

    Doch trotz aller
Fitnessprogramme lässt ihre Haltung zu wünschen übrig. Wenn sie nackt ist,
sieht man genau, dass sich ihr Rücken im oberen Bereich gebeugt hat. Spitz
treten die einzelnen Wirbel ihres Rückgrats zwischen ihren Schulterblättern
hervor.

    Brrr.

    Ich verdrängte das gruselige Bild mit einem Kopfschütteln.
War meine Mutter wirklich ein Zombie oder hatte sich meine Erinnerung verzerrt?

    Dicke winkte ab: »Hätte eh nix genutzt.«

    Ich sah sie an und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen,
dass meine Gedanken abgeschweift waren.

    Wovon hatten wir noch mal gerade gesprochen?

    Â»Ã„ndern kannste deine Alten nicht«, stimmte Engel ihrer
Freundin zu. »Abhauen ist das Einzige, was dir übrig bleibt.«

    Ich blinzelte erstaunt.

    Der Teenie, der es nicht gebacken gekriegt hatte, die
Pille rechtzeitig einzuwerfen, hatte zumindest das sehr viel eher erkannt als
ich selbst. Wieder fühlte ich mich plötzlich sehr dicht dran an diesem Leben
auf der Straße.

    Â»Was ist mit deinen?«, fragte ich Engel.

    Sie blies hellen Rauch in die Dunkelheit. »Meine Alte hat
gesoffen.« Wie zum Beweis hob sie ihre Bierflasche an den Mund. »Dann hat se
inner Klinik ’n anderen kennengelernt und ist mit dem weg. Seitdem dreht mein
Alter durch, wenn er bei mir Kippen oder Schnaps findet. Durfte nicht mal mehr
mit meinen Leuten weg, weil er meinte, die hätten schlechten Einfluss …«

    Aha.

    Ich betrachtete den Joint, den Dicke Engel hinhielt.

    Â»War mir zu blöd. Bin dann irgendwann nicht mehr nach
Hause …«

    Â»Wie lange schon?«, erkundigte ich mich.

    Â»Hm – ’n Jahr?!«, schätzte Engel.

    Â»Und du?«, kam Dicke an die Reihe.

    Â»Vier«, sagte Dicke.

    Â»Hölle, vier Jahre?«, wiederholte ich mit übertriebenem
Erstaunen, um die nächste Frage wie zufällig rausgerutscht klingen zu lassen:
»Wie alt biste denn?«

    Dicke fletschte die Zähne: »Sechzehn.«

    Â»Du bist schon mit zwölf auf der Straße gewesen?«

    Â»Rechnen kannste.«

    Â»Wieso?«

    Dicke sah zum Himmel. Heute war die Nacht sternenklar und
bitterkalt.

    Â»Gibt Regen«, meinte Dicke und griff nach ihrer Flasche.

    Â 

14.

    Dicke und Engel marschierten am
Flugzeugcontainer vorbei in Richtung Wiemelhausen.

    In die gleiche Richtung, in die Bohne und seine Gemüsegang
verschwunden waren, nachdem sie Danner zusammengeschlagen hatten, registrierte
ich.

    Die Mädchen liefen allerdings nicht besonders schnell,
beide bewegten sich im schaukelnden Gang von Hochschwangeren. Gemächlich
trödelte ich neben den schwergewichtigen Straßenkids her und begann trotz
meiner Kleiderschichten zu frieren.

    Rechts neben dem Gehweg begleitete uns jetzt ein hoher
Stahlzaun. Einer dieser Bauzäune, deren Füße mit dicken Betonklötzen fixiert
waren. Vor einer schweren Kette samt Vorhängeschloss, die zwei Zaunelemente
verband, blieben meine Begleiterinnen stehen.

    Mit einer kurzen Handbewegung drückte die Dicke das
Schloss auseinander. Es war gar nicht

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