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Fliege machen

Fliege machen

Titel: Fliege machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Größenwahn. Weil das keine andere vor mir geschafft hatte. Ich konnte nur
einmal mehr auf die Fresse fliegen.

    Die beiden Sanitäter tauchten mit der Dicken auf und rissen
mich aus meinen Gedanken. Schnell huschte ich hinüber in Richtung Busbahnhof.

    Mit Mühe verluden die Männer die Betrunkene, die Tür
schrammte zu und der Rettungswagen dröhnte mit blitzendem Blaulicht davon.

    Ich trippelte inzwischen von einem kalten Fuß auf den
anderen, als müsste ich dringend aufs Klo.

    Was für eine bescheuerte Idee, in dieser klirrenden Kälte
auf einen Bus zu warten, der wahrscheinlich nie kommen würde. Doch ich blieb am
Busbahnhof stehen. Das kam mir logisch vor, wenn wider Erwarten tatsächlich ein
Bus nach mir suchen sollte.

    Nach wenigen Minuten erschien mir der Gedanke, dass
dieses Fahrzeug eine alkoholbedingte Halluzination der Dicken war, allerdings
noch logischer. Ich beschloss, in den Bahnhof zurückzukehren, bevor meine Füße
wirklich Frostbeulen bekamen.

    Im gleichen Augenblick registrierte ich die blendenden
Scheinwerfer. Die Lichter hopsten über das Kopfsteinpflaster wie die
aufblitzenden Augen eines Riesenkaninchens. Offenbar waren der Fahrer und die
Gangschaltung nicht die besten Freunde.

    Ich blieb stehen und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.

    Ein weißer Bulli. Nicht neu. Auf einem orangefarbenen
Klebestreifen über der Windschutzscheibe leuchtete in großen Buchstaben die
Aufschrift Winterbus.

    Nicht zu fassen: Das Ding hatte mich wirklich gefunden.

    Die Lichtkegel der Scheinwerfer erfassten mich, der Winterbus
machte einen letzten Hüpfer und – dann ging der Motor aus.

    Abgewürgt.

    Einen Moment lang standen der Wagen und ich uns schweigend
gegenüber.

    Ein Seitenfenster wurde heruntergekurbelt.

    Â»Hallo! Können wir dir vielleicht helfen?«

    Eine dünne Frau, die zu einem orangeroten Wollschal eine
gleichfarbige Bommelmütze trug, unter der eine krause, graublonde Mähne
hervorquoll, lehnte sich aus dem Busfenster. Sie sah mich an. Freundlich. Und
sie lächelte. Zumindest war ich für sie nicht unsichtbar.

    Â»Brauchst du eine Decke? ’n Schlafsack? ’n warmen Kaffee,
Tee, Kakao? Kondome?«

    Kondome? Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff.
Aber bei der Aussicht auf einen heißen Tee verkniff ich es mir, die Beleidigte
zu spielen.

    Â»Kondome nicht«, stellte ich schnell klar. »Aber ’n Tee
wäre toll.«

    Â»Fahr mal ran. Unser Typ ist erwünscht«, kommandierte die
Frau den Fahrer.

    Der Anlasser jodelte mehrere Sekunden, bevor der Motor
des Bullis aufheulte. Der Wagen hopste Richtung Bordstein, es gab hustende
Geräusche, im nächsten Moment war es erneut still.

    Ich bezweifelte, dass das Ding je wieder anspringen würde.
Aber zumindest passten die Linienbusse vorbei, bis der Abschleppwagen kam.

    An der Bulliseite schrammte eine Schiebetür auf und die
Bommelmützenträgerin lächelte mich an. Sorgfältig getuschte Wimpern umrahmten
ihre grünen Augen wie Sonnenstrahlen. Ausreichend Rouge milderte die Falten
ihrer Wangen. Mit ihrer orangeroten Mütze, dem Schal und der neongelben
Signaljacke leuchtete sie selbst im Halbdunkel des Busses wie ein
überdimensionales Glühwürmchen. Ich schätzte ihr Alter auf über sechzig.

    Â»Komm rein, wärm dich auf.«

    Nur zu gern kletterte in den wohlig-warmen Wagen.

    Â»Hi, ich bin Henriette, du kannst Henni zu mir sagen.
Setz dich. Was für ’n Tee willst du denn? Ich hab hier mit Kräutern Innere Ruhe oder zum schnellen
Warmwerden: Drachenblut mit Pfeffer.«
Sie winkte mit zwei Thermoskannen.

    Â»Drachenblut.« Ich nahm an einem an der Bulliwand
montierten Holztischchen Platz. Wie in einem Zugabteil waren am Tisch Bänke mit
je zwei Sitzplätzen angebaut, hinter den Rückenlehnen stapelten sich bis zur
Decke zusammengerollte Decken, Schlafsäcke und Kleidungsbündel. Unter dem
Tischchen pustete mir die Standheizung heiße Luft gegen die prickelnden Knie.

    Â»Tach.« Die Frau, die ich hinter dem Steuer des Busses
für einen Mann gehalten hatte, kletterte zwischen den vorderen Sitzen hindurch
zu uns nach hinten.

    Â»Das ist Bille«, stellte Henni vor.

    Bille war deutlich jünger als Henni, ungeschminkt, pummelig,
mit hennaroter Stoppelfrisur und einer im passenden Farbton gefrorenen Knubbelnase.

    Â»Lila.«

    Â»Hab dich hier noch nie

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